Annette M.-N.

Annette M-N., 52 Jahre, geschieden, 1 Kind, Künstlerin. Studierte erst in Budapest freie Kunst und dann an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Kommunikatinsdesign, mit dem Schwerpunkt Malerei, bei Almut Heise und Friedrich Einhoff. Das Studium beinhaltete vielfältige Techniken, wie Malerei, Zeichnen, Fotografie, Siebdruck, auf die sie heute noch in ihrer Arbeit zurückgreift.

Hamburg, 53°35'10.92"N 10° 0'20.59"E, 14.02.2018


Wann hast du angefangen, plastisch zu arbeiten?
Schon an der Hochschule in Hamburg verspürte ich den Drang, plastisch zu arbeiten. Es gab dort keine Kurse für Bildhauerei, deshalb griff ich auf Papier, Pappe und Kleister zurück. Das kannte ich aus meiner Kindheit . Ich hatte mir damals daraus meine eigenen kleinen Welten erschaffen, und dann wollte es wieder aus mir heraus.
Nach meinen Abschluß habe ich dann zunächst gemalt, klassische Portrait -Auftragsarbeiten in Öl.
Mehr und mehr habe ich mich dann für das plastische Arbeiten entschieden, weil ich gemerkt habe, dass ich mich dann ganz fühle.

Der Ausdruck deiner Portrait Skulpturen strahlt eine große Ruhe aus, als wenn sie in einem bestimmten Moment der Zeit gedankenlos verweilen.
Ich arbeite sehr langsam und in Stille. Die Technik des schichtweisen Aufbauens erfordert einen längeren Arbeitsprozeß. Ich komme dabei immer mehr in die Ruhe , diese strahlt dann auf die Figur aus und das widerum auf mich zurück. Und wenn ich Glück habe, dann gelingt es mir, diesen Moment des Seins darzustellen.
Ich habe diese Erfahrung auch in der Portraitmalerei gemacht.In diesem langsamen Prozeß, währenddessen mir die Menschen über Stunden und Tage gegenübersaßen, ist eine Ruhe entstanden, die sich dann auch in den Zügen der Portraiterten zeigte. Ein wunderbarer SEINS Moment.

Gestern ist leider Jóhann Jóhannsson gestorben, ein Komponist, dessen Sachen ich sehr mag. Es gibt Stücke von ihm, die durch die kompositorische Herausarbeitung von Stille eine große Ruhe ausstrahlen. Die Musik hat mich an deine Skulpturen erinnert. Kennst du seine Kompositionen?
Nein, den kenne ich nicht, las mal hören!

Jóhann Jóhannsson – Flight From The City
Jóhann Jóhannsson – the rocket builder
Jóhann Jóhannsson-Freedom From Want And Fear

Oh ja, sehr berührende Musik. Wunderschön! Das ist ein schönes Erlebnis, diese Musik zu hören, während wir uns über meine Kunst unterhalten und meine Skulpturen betrachten. Das wäre schön, eine Ausstellung, in der dann auch seine Musik spielt.

Wann ist eine Skulptur für dich fertig? Von Alberto Giacometti weiß man ja, dass seine Skulpturen oder Bilder eigentlich nie fertig wurden, und er hat ja auch haufenweise seine Werke geschrottet oder sie immer wieder verändert. Und nicht nur er, sondern viele andere Künstler haben ja dasselbe Problem, mit ihrem Anspruch an die Vollkommenheit ihrer Werke.
Ich denke bei jeder meiner Skulpturen, es geht noch besser.
Das ist mit ein Antrieb, immer weiter zu machen.

Ich meinte, wann lässt du los, wann hörst du auf mit der Arbeit an der Skulptur, weil es gibt ja nie die perfekte Skulptur, dass Scheitern ist ja immanent in dem Prozess.
Ja, stimmt, die perfekte Skulptur bekommst Du nie hin. Wobei man sich noch fragen müsste, was Perfekt eigentlich bedeutet?

Rettest du deine Arbeit vor deiner Zerstörung oder zerstörst du überhaupt Arbeiten von dir?
Beim Arbeiten ist man ja permanent damit beschäftigt aufzubauen, wegzumachen , malen, übermalen, das ist ja quasi wechselseitig schöpferisch und zerstörerisch .
Es kommt dann im Arbeitsprozeß der Moment, wo ich das Gefühl habe, so, mit diesem Ausdruck, mit diesem kleinen Persönchen oder halben Menschen, der da entstanden ist, kann ich leben. Manchmal, wenn ich später hinschaue, dann denke ich, ach Du liebe Zeit, das geht ja gar nicht. Es kommt vor, daß ich sie dann richtig zerstöre, aber lieber beginne ich dann eine neue Skulptur.

Ich glaube, der Satz kommt von Heiner Müller: Das ist die Lage….ich beobachte sie als Phänomen – ohne Hoffnung und ohne Verzweifelung.“ Kannst du damit etwas anfangen, in Bezug auf den Ausdruck deiner Plastiken?
Ich finde die Aussage sehr psychologisch und wenig spirituell.
Diese Ausdrucksweise würde ich nicht wählen. Bezogen auf den Ausdruck meiner Figuren kann ich das „ohne Hoffnung und ohne Verzweifelung“ aber total unterschreiben. Mein Streben bei der Arbeit ist der Wunsch oder auch die Sehnsucht, nach einem ruhigen allgemeingültigen IST-Zustand.
So etwas wie die Begegnung mit dem Sein oder der Stille zwischen den Gedanken und der Zeit.
Wenn ich es schaffe, diesen Zustand für mich zu erreichen, angebunden an mein Inneres und an das große Ganze zugleich und womöglich noch diesen Ausdruck meinen Figuren zu geben, dann ist das der schönste Moment. Das ist für mich Schönheit.

Wenn du so intensiv alleine arbeitest, wie kompensierst du das?
Ich führe ein sehr intensives und bewegtes Leben und bin so dankbar, was ich alles erleben darf. Ich habe nicht das Gefühl, etwas kompensieren zu müssen. Meine Arbeit erfüllt mich.
Ich bin gerne mit mir alleine, das könnte ich wochenlang sein, ich mag mich irgendwie ganz gerne (lacht), es macht Spaß, das Leben mit mir zu verbringen (lacht)
Und umso schöner, dann Menschen zu treffen, neue Begegnungen zu haben, auszugehen und Besuch zu bekommen.
Ich bin sehr dankbar, dass ich ein so freies Künstlerleben führen darf

Was meinst du mit „freies Künstlerleben“?
Ich habe es geschafft, ein Leben zu führen, wo ich auf mein Herz höre und nicht mehr so viel darüber nachdenke, was die Anderen denken oder erwarten oder ob das den gesellschaftlichen Normen entspricht. Das gibt mir eine unheimliche Freiheit.
Aber davon erzähle ich Dir ein anderes Mal (lacht)


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