Frauke H.

Frauke H., 52 Jahre, lebt in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, Architektin, Schwerpunkt: Soziale Stadtentwicklung, arbeitet als Coach für „Empowerment“ und „Selbstorganisation“.
„Jeder Mensch, der gut mit sich klarkommt, ist ein Gewinn für die Gesellschaft“

53° 9'19.26"N 11° 2'49.51"E, 02.01.2021


Als ich morgens, nach einem Spaziergang von der Elbe über den Deich zu meinem Rad ging, sah ich, wie eine Frau aus dem VW Bus stieg und ihren 2 grossen Hunden etwas zum Fressen gab. Den Wagen hatte ich schon vorher bemerkt, als ich mit dem Rad kam und er hatte wohl die ganze Nacht dort schon geparkt. Da es sehr kalt war, fragte ich sie, ob sie hoffentlich für die Nacht eine Standheizung hätte. Wir kamen ins Gespräch und verabredeten uns für dieses kleine Interview in Hitzacker, wo ihr Boot liegt, das sie renoviert, wie sie mir erzählte.

Hast du keine Wohnung? Selbst mit Standheizung ist es doch nachts im Bus arschkalt!
Doch, eine Einraumwohnung in Berlin habe ich noch. Projektbezogen habe ich immer auch mal wieder gemeinschaftlich in und für selbstorganisierte Hausprojekte gelebt, aber ich habe auch gemerkt, Stadt ist mir inzwischen viel zu viel. Eigentlich bin ich ja ein Stadtkind aus Hamburg, eher westliches Hamburg so Elbvororte, Schenefeld. Aber ich bin mit der Natur aufgewachsen, mit Segeln. Zuerst auf der Alster, dann  auf der Elbe, so Kutter segeln mit Zelt und so. Irgend wann habe ich dann realisiert, mir fehlt die Natur, wenn ich mitten in Berlin lebe. In der Stadt sitze ich immer am Wasser, wie jetzt auch hier. Mir fehlt irgendwie das Wasser im Leben. Ich möchte wieder aufs Wasser, nicht nur ans Wasser, sondern aufs Wasser. Dann kam mir die Idee, warum nicht auf dem Wasser leben? Nicht auf einem Hausboot in irgend so einem muffigen Kanal in Berlin, da lebst du dann gefühlt auf dem Wasser, aber es ist doch Stadt, die dich einengt. Das hier finde ich eben cool, die Elbe, die Nordsee, die Ostsee. Und so habe ich mir ein kleines Kajütboot gekauft, das auch küstentauglich ist. Mein Boot ist 7 1/2 Meter lang, also ganz schön klein um darin wohnen zu können. Mit 2 grossen Tieren wird das wohl sportlich und wenn dann noch einmal ein weiterer Mensch mitfahren will, also auch schlafen möchte, das geht schon, muss man dann aber auch wirklich wollen. Das Boot hat einen ganz langsamen Motor. Ich finde es schön, einfach langsam dahin zu gleiten. Das passt alles zu meinem Konzept der minimalistisch, eigenen Infrastruktur. Das Minimalistische kann ich für mich leben, weil ich mich sozial und beruflich in Gemeinschaftsprojekten bewege, dort auch die Infrastruktur nutzen kann, die mir fehlt.
Wenn ich das richtig verstehe: du hast sehr viel in freien Initiativen gearbeitet, mit vielen Leuten zusammen, ziemlich viel Stress gehabt und dann dir gesagt: so, ist ok, ich muss jetzt mal zur Ruhe kommen, ich mach mal eine andere Projektschiene, ich mache mich mal zu meinem Projekt.
Ja, so ungefähr, oder, ich organisiere für mich jetzt die Lebensform, die ich grade gut finde. Ich habe alle von mir initiierten Projekte in Berlin an andere übergeben, arbeite in der Nähe an einem Gemeinschaftsprojekt mit, wobei durch Corona drehen wir auch grade am Rad. Eigentlich arbeite ich viel an Projekten für nachhaltige Entwicklungen, Umweltbildung, was eigentlich nur Face to Face geht. Wenn sich das mit Corona normalisiert hat, mache ich, neben dem einen Projekt hier, wieder andere Aufträge. Mich haben Leute aus Stuttgart gefragt, ob ich nicht einen Workshop für Theaterschaffende machen kann, über RE-USE, also Recycling im Bühnenbau.  Ich habe in Berlin mit einer Freundin Materialweitergabe-Orte aufgebaut.
Materialweitergabe-Orte?
Nimm mal z.B. Messen, da fällt total viel hochwertiges Material an, das nicht mehr gebraucht wird. Aus rechtlichen und aus Arbeitszeit- Kostengründen ist es billiger, es eher weg zu schmeissen, als es zu recyceln. Es gibt schon seit 30 Jahren in N.Y „Materials for the Arts“. Die Freundin, mit der ich das in Berlin gestartet habe, lebte als Künstlerin in N.Y und kannte dieses Konzept, Und jetzt haben mich Leute gefragt, einen Workshop mit Theaterschaffenden zu machen, mit der Idee, so ein Materiallager auch in Stuttgart auf zu bauen. So eine Struktur auf zu bauen finde ich spannend, was ich eigentlich die ganzen Jahre gemacht habe: Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen ihr Leben selber gestalten können. Also nicht nur meckern, alles ist doof, sondern, ja ich kann meckern, alles ist doof, aber ich mache es dann eben anders und gefühlt besser und das in ganz vielen Bereichen, von der Stadtentwicklung über Bürgerbeteiligungen bis hin zur urbanen Selbstversorgung.
Auch nach diesem fucking Corona-Jahr kannst du dir gut vorstellen, auf dem Boot und parallel in deinem VW Bus zu leben?
Ja, meistens wohl im Bus, weil ich mit dem Schiff nicht so schnell von da nach dort komme.
Dass Boot hat doch so eine kleine Maschine, dafür gleitet es aber auch so schön durchs Wasser (lacht)


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