Julia S.

Julia S., Lektorin in einem Verlag, 43 Jahre, unverheiratet, kinderlos.
„What is meant for you, will reach you even if it is beneath two mountains. What isn’t meant for you, won’t reach you even if it is between your two lips.“ (Arabisches Sprichwort)

Hamburg, 53°33'21.15"N 9°57'28.90"E, 26.08.2018


Du hast vor drei Tagen ein Experiment gestartet, in dem du auf Facebook einen Post gemacht hast:

„Schaffen meine Facebook-Freunde, was Tinder nicht gelingt – mir ein nettes Date zu vermitteln? Teilen ausdrücklich erwünscht:
Julia, 43, Bücher liebende Schnapsdrossel, die sich gern im und am Wasser aufhält. Ich mag Moby Dick, Mad Men, Vampire Weekend, Ottolenghi, St. Pauli (mein Viertel, mein Verein), im Urlaub um griechische Inseln schwimmen und Weißwein auf meinem Balkon. Gesucht: Hamburger Jung, der mich zum Lachen bringt. Ich lade dich im Gegenzug auf ein Getränk deiner Wahl ein.
Und jetzt kommt ihr!“

Ja, am nächsten Tag dachte ich: Oh, Schreck, was habe ich getan? Gestern habe ich mir die ganze Sache mal rein statistisch angeschaut. Der Post ist über 200 Mal geteilt worden, davon nur ca. 30 Mal von Freunden von mir.

Ich habe den Post bei einer Facebook Freundin gesehen, die ihn geteilt hat.

Ja, zu 90 Prozent haben es Frauen geteilt und auch geliked.

Wie ist der Response von Männern?

Ich finde überschaubar. Dafür, dass es über 200 Mal geteilt wurde und damit, keine Ahnung, aber bestimmt weit über 1000 Menschen erreicht haben müsste, habe ich nur 10 Anschriften bekommen. Kommentarlose Freundschaftsanfragen waren auch dabei, aber nachdem ich mir deren Profil angeschaut und festgestellt habe, dass da überhaupt keine Gemeinsamkeiten vorhanden waren, habe ich die Freundschaftsanfragen auch nicht angenommen. Ich bin nicht jemand, der wahllos Facebookfreundschaften sammelt. Mein Account ist ziemlich übersichtlich. Von den zehn Anschriften waren acht indiskutabel für mich.

Was sind deine Ausschlusskriterien?

Das waren Männer, die in einer ganz anderen Lebenswelt sind. Ich sehe da keine Gemeinsamkeit. In meinem Post habe ich mich kurz beschrieben, darauf wurde überhaupt kein Bezug genommen. Einer schrieb: „Hamburg, rote Haare, saufen!“ Ja, ok … mh, NEIN! Eine Frau hatte mir geschrieben, sie kenne jemanden, der aber nicht auf Facebook sei. Sie gab mir seine Telefonnummer und wir haben über WhatsApp kommuniziert. Der schickte mir Fotos … mh, leider nein … Aber er hatte immerhin auch eine Schwimmbegeisterung. Mit ihm habe ich dann noch eine Weile über das Schwimmen geschrieben. Das war schon mal nett. Aber bei den Anderen sah ich nichts, an das ich irgendwie hätte anknüpfen können. Es geht ja dann auch über die Art der Anschrift. Einer schrieb: „Heißer Kandidat aus St Pauli.“ Ich glaube nicht, dass wir uns etwas zu sagen hätten … (lacht). Aber es war auch einer dabei, der mir eine sehr nette, längere Nachricht geschrieben hat, dass er den Post über so und so gesehen hat, dass er relativ neu in Hamburg wäre und ob ich nicht Lust hätte, mich mit ihm mal entspannt auf ein Kaltgetränk zu treffen. Und das machen wir dann auch am Montag. Das war aber auch der Einzige, der sich gefühlt Mühe gegeben hat, etwas Nettes zu schreiben.

Wie bist du auf die Idee gekommen, über Facebook eine Beziehung zu suchen?

Die Idee habe ich geklaut, ehrlich gesagt. Ich habe zufällig am Mittwoch, also vor drei Tagen, auf Watson, das ist ein neues Online-Magazin (eigentlich für eine viel jüngere Zielgruppe) einen Artikel gelesen von einer Engländerin, die das gemacht hat. Sie ist Ende 20, seit drei Jahren Single, hatte die Schnauze voll von Tinder usw. Sie hat irgendwann gedacht: „Meine Mutter sagt immer, früher wurde man von Freunden verkuppelt.“ Und dann hat sie spontan abends ein Post aufgegeben, ist ins Bett gegangen und dieser Post ist am nächsten Tag viral gegangen. Sie ist Schauspielerin und hat jetzt daraus ein Theaterstück entwickelt. Sie verrät aber nicht, was daraus geworden ist. Sie schrieb, es wäre eine aufregende Zeit gewesen und das Ergebnis wird erst im Theaterstück verraten. Ich dachte, sie hat eigentlich total recht. Wenn man eine Wohnung sucht, postet man das auf Facebook, oder wenn man z.B. nach Istanbul fahren möchte, bittet man seine Facebookfreunde um Tipps. Warum also nicht ein Date über Freunde von Freunden auf Facebook suchen? Früher im Studium oder auf Partys hat man ja auch meist jemanden über gemeinsame Freunde kennen gelernt. Ich dachte, das machst du jetzt, du hast ja nichts zu verlieren, es ist ein Experiment. Im Moment glaube ich nicht, dass es zu irgend etwas führt, aber ich sehe, es macht vielen Leuten Spaß, die Entwicklung zu verfolgen, und gerade von vielen Frauen habe ich positives Feedback dazu bekommen.

Hast du das Gefühl, du bist jetzt eine öffentliche Person geworden?

Neee …

Hast du den Post nur für deine Facebookfreunde sichtbar gemacht oder öffentlich?

Der erste Freund, der es teilen wollte, hat mir direkt gesagt, ich müsste es öffentlich machen, sonst könnte er es nicht weiter teilen. Also, der Post ist öffentlich. Deswegen konnte er auch von Freunden von Freunden von Freunden geteilt werden. Gestern saß ich so da und dachte: Wow, was passiert jetzt? Der Post tauchte auf der Facebookseite bei Sat.1 Regional auf. Ich habe mir dann die Seite angeschaut, der wird nur von etwas über 1000 Leuten gefolgt, und von diesen haben dann acht Frauen den Post geliked und wieder geteilt. Gestern haben mein Bruder und ich noch gescherzt, wenn der Post erst in der S-Bahn auf dem News Screen läuft, dann verlasse ich meine Wohnung nicht mehr. Aber ich glaube, der Post wird auch in Köln oder sonst wo geteilt und verpufft dann schnell wieder. Es ist ja jetzt auch nicht so, dass ich mit Anfragen überschüttet werde, überhaupt nicht.

Was war der Auslöser deiner Aktion?

Ich bin länger schon Single und habe einfach Lust, mal wieder jemanden kennen zu lernen. Ich habe einen großen Freundeskreis und fühle mich deswegen auch nicht einsam, würde mich aber wirklich sehr über ein Date freuen. Anfang des Jahres habe ich mich mal wieder auf Tinder angemeldet und gemerkt, das führt zu gar nichts. In einem gewissen Alter lernt man halt wenig neue Leute kennen. Wie gesagt, ich habe einen großen Freundeskreis, ich habe auch einen spannenden Job, in dem ich viele Leute kennen lerne, ich gehe gerne aus. Aber der deutsche Mann an sich neigt ja nicht gerade dazu, eine Frau in der Bar anzusprechen.
Ich bin eigentlich nicht der Typ, der sich aktiv auf die Suche nach einer neuen Beziehung begibt. Ich glaube, es passiert, wenn man am wenigsten damit rechnet. Aber es ist halt so: Wenn ich heute auf Partys gehe, entweder ich kenne die Leute oder sie sind zu 80 Prozent oder mehr in einer festen Beziehung. Die letzten drei, vier Silvester hatte ich die Wahl, ob ich mit zwei, drei oder vier Paaren feiern möchte.

Nimmst du das jetzt Ernst mit deinem Versuch, auf Facebook eine neue Beziehung zu finden?

Der Post war schon ernst gemeint insofern, als dass ich via Facebook zunächst einmal überhaupt ein Date finden wollte. Aber klar, ich bin auch bereit für eine neue Beziehung … Es gibt nur leider so wenig Möglichkeiten, jemanden kennen zu lernen. Ich hasse Untätigkeit, ob im Job oder sonst im Leben. Das hat mich schon immer gestört, die Liebe ist der einzige Bereich, den man in dieser Hinsicht nicht aktiv gestalten kann. Wenn du einen neuen Job willst, kannst du dich aktiv auf Jobs bewerben, wenn deine Gesundheit schlecht ist, kannst du aktiv mehr Sport machen und sie so verbessern. Klar, kannst du ausgehen und dir eine gewisse Offenheit bewahren, aber um jemanden kennenzulernen, sich zu verlieben und eine Beziehung entstehen zu lassen, gehört schon sehr viel Glück und Zufall dazu.

Was wünscht du dir?

Ich dachte, nach meinem langen Singledasein könnte es mir womöglich schwer fallen, mich auf jemanden einzulassen. Aber ich habe letztes Jahr gemerkt, wenn ich mich verknalle, dann springe ich. Wenn es mich erwischt, kann ich mich einlassen. Ich wünsche mir ein heiles Herz, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen, Zuversicht und, klarer Fall, mich zu verlieben. Ich kann das, glaube ich.


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