Kai H.

Kai H., 83 Jahre, in 2.Ehe verheiratet, 2 Kinder, Journalist, Publizist, Buchautor, einer der meist ausgezeichneten Journalisten der Nachkriegszeit in Deutschland
„Auf Menschen in einem weissen Jacket schiessst man nicht“

53° 9'47.05"N 11° 8'26.56"E, 03.12.2020


83 gelebte Jahre fühlen sich für dich jetzt an wie „Seltsam das Wandern im Nebel“ nach H.Hesse oder eher wie das chinesische Sprichwort: „Der steile Aufstieg zum Gipfel, wird belohnt durch die schöne Aussicht“ ?
Nee, ist eigentlich banal! Du bekommst immer mehr körperliche Gebrechen. Im Kopf bleibst du natürlich jung (lacht) Natürlich nicht! Der Kopf altert genauso schnell, bloss man fühlt es nicht so. Du musst schon sehr aufmerksam sein um zu merken, was du früher gekonnt hast, kannst du jetzt nicht mehr so im Kopf.
Woran misst du das?
Vergesslichkeit!
Hast du früher nichts vergessen?
Damit tröste ich mich immer….wenn ich ins Zimmer gehe um etwas zu holen, und ich bin drin, habe ich vergessen, was ich holen wollte. Das passiert mir jetzt häufiger, aber ich bilde mir ein, diese Zerstreutheit hatte ich schon in meiner Jugend.
Also prinzipiell keine grosse Veränderung, zumindest geistig?
Nee, wahrscheinlich nicht so richtig gross.
Du fühlst dich also noch richtig jung?
Nee, uralt…aber das schwankt. Manchmal merkt man das Alter, manchmal nicht so.
Woran erkennst du dein Alter?
Bei jeder körperlichen Anstrengung.
Du warst Journalist oder bist du immer noch Journalist?
Ich war immer Journalist und Autor und bin das noch. Ich bin kein Tages – Journalist mehr, aber arbeite immer noch.
Du bist kein Rentner?
Ich krieg keine Rente. Da kann man einen Euro auch mal gebrauchen. Aber ich bin wohl jetzt eher so ein Hobby – Schreiber-Rentner.
Hobby – Schreiber – Renter, was ist das denn?
Ich schreibe dann, wenn ich mal Lust habe und nicht dann, wenn ich muss oder müsste.
Aber du hast doch eine Tages-Struktur?
Nee,
Du sagst doch, du musst Schreiben, jeden Tag.
Du nimmst dir am Tag irgend etwas vor, so ein Schreiber-Rentnertag vergeht ja viel schneller als ein Tag im Berufsleben.
Wenn man es schleifen lässt?
Man lässt es ja schleifen….
Wann bist du Journalist geworden?
Ich war immer Journalist, seit meiner Studenten-Zeit.
Hast du Journalismus studiert?
Nein, aber Ägyptologie, Theologie, Soziologie und Geschichte. Ich habe so ein Studium Generale gemacht. Hatte dann das Glück, ich glaube das gibt es heute nicht mehr, jedenfalls hatte ich im 4.Semester schon das Thema meiner Doktorarbeit in Geschichte unter Fritz Fischer. War ein toller Typ. Der schrieb an einem Buch über den Beginn des 1.Weltkrieges, wo er herausgefunden hatte, dass Deutschland den natürlich auch angefangen hatte.
Nach einem Seminar bei ihm habe ich an seinem Buch mitgearbeitet. Ich bekam dafür kein Geld, aber das Thema meiner Doktorarbeit. Allerdings, ich habe eigentlich nie richtig studiert, also keinen Doktor gemacht.
Ich war zwar an der Uni eingeschrieben, hatte aber nie Geld. In den Semesterferien und auch im Studium, habe ich in einer Fabrik gearbeitet. Dabei bin ich dann darauf gekommen, dass Journalismus für mich einfacher ist und habe angefangen, nebenher als Journalist zu arbeiten. Beim Hamburger „Echo“. Das war das Zentralorgan der SPD in Hamburg. Ich hatte mich bei allen Zeitungen beworben. Die bei“Echo“ waren die einzigen, die mich genommen haben.
In deinem journalistischen Leben hast du über viele soziale und politische Themen geschrieben. Wann hast du dich politisiert?
Früh! Ich war in der Tübinger Uni Vorsitzender der Kampagne „Kampf gegen den Atomtod“, gegen die atomare Wiederbewaffnung der Bundeswehr und der BRD.In der Hamburger Uni war ich dann auch Mitglied im SDS.
Du hast dich damals sehr politisch engagiert?
Mh, ja, engagiert, aber nicht sehr (lacht) Mir waren andere Sachen immer genauso wichtig.
Ich habe ein bisschen die Leute beneidet, die nur für die gute Sache standen. Wenn Spass angesagt war, habe ich an die gute Sache gedacht und dort mitgemacht. (lacht)
Total engagieren kann ich mich auch für nichts. Deswegen bin ich wohl auch Journalist geworden. Da darfst du das ja nicht.
Ist das die klassische Form des Journalismus, sich nicht zu engagieren?
Nein, ich habe immer subjektiven Journalismus gemacht. Aber wenn du dich mit Haut und Haaren irgend einer Richtung verschreibst, dann kannst du journalistisch darüber nicht mehr arbeiten. Ist meine Meinung.
Man kann subjektiv sein. Man hat als Journalist eine Haltung, man muss eine Haltung haben. Einen objektiven Journalismus gibt es nicht. Die Haltung sollte man dann auch aus deiner Arbeit herauslesen können.
Apropos, wie findest du den Journalismus heute?
Früher war alles besser, nicht? (lacht) Nee, ich finde den Journalismus heute in keinem so guten Zustand. Mich stört das Mainstreamige, das es früher so nicht gab. Der „Stern“ war in seiner journalistischen Hochzeit z.B. innerhalb eines Heftes kontroverser, als heute der sogenannte klassische Journalismus in seiner ganzen  Breite. Es gibt doch heute keine Kontroversen mehr. Über was gibt es heute noch Kontroversen? Bei Corona zeigt es sich am deutlichsten. Entweder du bist „Querdenker“ oder wie die heissen, oder du findest alles toll, was die Regierung macht. Das Dazwischen gibt es nicht mehr. Mich stört auch der Typ des Journalisten, den es heute gibt. In meiner Generation waren es alle Quereinsteiger. Ich habe z.B. keine Ausbildung zum Journalisten. Habe nie eine Ausbildung gemacht. Der heutige Journalist macht ein gutes Abitur, bekommt einen Fragebogen über Allgemeinwissen, mit dem er sich bei einer Journalistenschule bewirbt und raus kommt immer der selbe Typ Journalist, klar mit Ausnahmen. Aber es ist ein Typ Journalist, ohne Lebenserfahrung. Von der Schule über die Uni hin zu den Zeitungen, Rundfunk oder Fernsehen.
Wie war dein Weg zum Journalismus?
Angefangen damit habe ich als Student um Geld zu verdienen und bin dann langsam da reingerutscht.  Erst wollte ich noch in die Wissenschaft, nachdem ich meine Dissertation bekommen habe. 1950-Anfang der 60iger Jahre war das ja alles ziemlich leicht. Professoren wurden gebraucht und Journalisten. Ich schrieb also an meiner Dissertation und kam nicht weiter und hatte vom Journalismus manchmal auch die Schnauze voll, unter anderem, weil ich immer Helmut Schmidt für das „Echo“ begleiten und „hochschreiben“ musste. Das war so ein eitler Besserwisser. Wenn ihm auch nur ein Nebensatz nicht gefiel, dann rief er bei der Chefredaktion des „Echos“an und beschwerte sich. Da habe ich mich dann für ein Auslandsstipendium beworben und eines für Kanada erhalten. Das Stipendium wurde von der Bezahlung her gesplittet: ein Teil übernahm die Uni Hamburg, den anderen Teil die Uni in Vancouver .
Bevor ich nach Kanada fuhr, hatte ich einen Artikel gegen ein Denkmal aus der Kolonialzeit geschrieben, das vor der Uni in Hamburg, vormals Kolonialinstitut, stand. Ob man nicht besser die Requisiten des wilhelminischen Kolonialismus“ entfernen könnte. Es stellte den übelsten Typen der Kolonialgeschichte in Ostafrika dar, Hermann von Wissmann, der wie wild in Ostafrika rum geschlachtet hatte. Er hoch auf dem Ross, unter ihm die Schwarzen, die ehrfurchtsvoll zu ihm aufblickten. Nach dem Erscheinen meiner Geschichte, wurde mir von der Uni Hamburg deren Teil des Stipendiums aberkannt.
Da ich aber an der Uni in Vancouver schon eingeschrieben war und eine Aufenthaltsgenehmigung für Kanada hatte, habe ich mir ein Schiff gesucht, auf dem ich für die Überfahrt arbeiten konnte. Ich sollte auf dem Schiff Rost klopfen. Auf der Überfahrt hatten wir die ganze Zeit Orkan, man konnte sich nicht bewegen, ohne sich die Knochen zu brechen. Das Schiff stand unter dem Kommando eines trunksüchtigen Kapitäns, der mich dann auserkoren hatte, Ihm und mir Whisky nach zu schenken , also kein Rostklopfen. In Chicago angekommen, trampte ich, weil ich null Geld hatte, nach Vancouver.

Von der Kanadischen Uni bekam ich 50 Dollar im Monat. Da ich Vancouver eher langweilig fand, sparte ich 2 Monate das Geld und trampte dann südwärts durch die USA, runter nach Mexico. Auf dem Weg lernte ich einen HOBO kennen, der mir beibrachte, auf Güterzügen zu reisen. Sein Geld verdiente er als Schlangenbeschwörer und er nahm mich als Assistent. Da war ich so 22 Jahre alt. War eine schöne Zeit in Mexico. Ich musste dann aber auch mal wieder zurück zur Uni in Vancouver, einfach um mich mal wieder auf zu päppeln.
Ich wollte  mich dann langsam Richtung Deutschland aufmachen, ständig im Briefverkehr zur Uni in Hamburg,  da ich immer noch auf das Geld wartete, das ja mein Stipendium ausmachte. Es gab keine rechtliche Grundlage seitens der Uni, mir das Geld nicht zu geben. Der Rektor in Hamburg hatte einfach gesagt: „Der bekommt das Geld nicht, fertig aus!“ Ich hatte null Geld, meine Eltern hatten null Geld. Meine Mutter schrieb Adressen auf Briefe für Aussendungen einer Firma, um die Familie durch zu bekommen. Ich brach dann nach Kalifornien auf, um die USA wenigstens ein bisschen kennen zu lernen und hatte Glück. Ich traf Betty, die mich in ihrem klapprigen VW Käfer mitnahm, auf ihren Weg nach Big Sur.
Bei der ersten Rast hat sie mich dann auf der Käfer Haube genommen. So waren die Zeiten.. Wir kamen dann in Big Sur an, lernten dort Timothy  Leary kennen und klar auch die Wirkung von LSD. Ich bin also zufällig dort in der Beatnik Scene gelandet. Die merkwürdigen Rituale, die dort praktiziert wurden habe ich nie begriffen: Jazz and Poetry z.B. irgend wann musste man dabei aufstehen, und die Hose runterlassen.. Betty fand mich dann auch zu langweilig, hat mir paar Dollar in die Hand gedrückt und tschüss gesagt.
Ich hoffte immer noch, dass die Uni das Geld an meine Eltern überweist und die dann zu mir. War aber nicht so und ich machte mich dann auf, um über den Kontinent zum Atlantik zu kommen. Ich bin dann in NewPort News, Virginia „gelandet“ Und da war ich dann fertig, ausgebrannt. Zähne kaputt, alles vereitert. Such mal in den USA einen Zahnarzt, wenn du kein Geld hast Es war, wie in der Vor-Hölle. Gestrandet im Obdachlosenasyl in Newport News. 
Mein kanadisches/amerikanisches/ mexikanisches Abenteuer dauerte ein Jahr. Es war trotzdem schön und aufregend. Mexiko, die Gastfreundschaft! Lastwagenfahrer, die mich beim Trampen mitnahmen tischten abends alles auf, was ihre Familien hatten, mit anschliessender Party auf der Ladeflache ihres Lastwagens, mit Nachbarn, Verwandten und Freunden. Klar gab es auch komische Sachen die ich erlebte, z.B. mit der Polizei in den USA. Die waren damals schon genauso wie heute. Ich erinnere mich, ich stand trampend an der Strasse, dann quietschende Reifen, „GET ON YOUR KNEES! wie heute: „GET ON YOUR KNEES“ Wenn ich sagte, ich wäre Student und mein Visum vorzeigte, war es dann zum Glück in Ordnung und sie fuhren weiter. Als Weisser hattest du eine Chance. Einmal in Texas beim Rodeo, war es besonders hart. Ich habe da beim Abreiteplatz rumgelungert, hatte ja kein Geld, wollte mir aber alles ganz genau anschauen. Plötzlich bekam ich eine Pistole in den Rücken und ein völlig besoffener Sheriff sagte, ich hätte jemanden umgebracht. Ich dachte, das gibt es nur im Kino! Ich war dann in diesem Käfig auf der Polizeistation, mit Handschellen an das Gitter gekettet, wurde vernommen, habe dann gelogen, ich wäre mit dem Bus gekommen, anstatt zuzugeben, dass ich getrampt bin. Darauf hin wollte der Sheriff mich tatsächlich k.o hauen. Sein Hilfssheriff, der ein bisschen nüchterner war, verhinderte das und so blieb ich die Nacht, angekettet an den Gitterstäben der Zelle hängen. Irgend wann am nächsten Tag haben sie dann den richtigen Mörder gefunden. Sie setzten mich in ihren Polizeiwagen und fuhren mit mir zur texanischen Grenze mit dem Rat, nie wieder nach Texas zu kommen. Eben, wie im Film. Na ja, ein Nazi-Onkel väterlicherseits, der bei Kühne und Nagel arbeitete, vermittelte  mir einen  Kohle-Dampfer, auf dem ich mich dann zurück nach Hamburg arbeiten konnte.
Auf dem Schiff schwor ich mir, nie wieder Arm zu werden. Ich wollte nie wieder unter freiem Himmel schlafen, nie wieder an einem Restaurant vorbei zu gehen, nur um mir hungrig an den Fensterscheiben die Nase platt zu drücken. Ich wollte Journalist werden und damit Geld verdienen!
Noch auf dem Schiff schrieb ich eine Bewerbung an die „Zeit“ mit einer Reportage über „Die dunkle Seite der USA“. Das war das falscheste, dass ich machen konnte. Die „Zeit „war ja so Amerika -Hörig! Ich bekam auch sofort eine Absage und war dann wieder, nach Ankunft in Hamburg, bei dem Hamburger „Echo“. 
Ich hatte dann aber das Glück ( von heute ausgesehen hatte ich eigentlich immer viel Glück) dass die „Zeit“, der „Spiegel“, der „Stern“ und das Hamburger „Echo“ alle unter einem Dach im Hamburger Pressehaus ihre Redaktionen hatten. Und die „Zeit“ bekam immer ein Exemplar des „Echos“ kostenlos auf den Tisch, in den die Redakteure, wenn sie Langeweile hatten, manchmal blätterten. Da sind sie bei der „Zeit“ irgendwie auf mich aufmerksam geworden
Ich bekam einen Brief von der Chefredaktion, sollte da mal in ihrem Stockerk vorbei kommen. Ich wurde eingestellt, bekam 500 DM im Monat, was auch nicht viel war, aber es reichte sogar, um mal ins Restaurant zu gehen.
Für die „Zeit“ schrieb ich Reportagen, Geschichten, wofür ich rausgehen musste, was die Zeitredakteure damals noch nicht machten, da sie ja für ein Meinungsblatt schrieben. Voraussetzung für meinen Job war, dass ich noch meinen Doktor machte. Damals konnte man nur als Journalist bei der „Zeit“ anfangen, wenn man Doktor oder Adelig war. Den Doktor habe ich bis heute nicht gemacht. Ernst genommen wurde ich mit einem Artikel über Karl Dönitz, Nachfolger des Führers, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Geesthaacht Schulunterricht als Geschichtslehrer gab, im Kreise der alten Nazilehrer. Sehr autoritär, Schüler durften keine Fragen stellen oder sich kritisch zur Geschichte äussern. Schulsprecher dort war der junge Uwe Barschel, der das organisiert hatte. Ich bin dann dort hingefahren, habe den Direktor der Schule erzählt, dass ich aus einer Admiralitäts Dynasty stamme (was auch stimmt) und da sie mir danach voll vertrauten, konnte ich frei an der Schule recherchieren, wie Dönitz SEINE Geschichte an der Schule lehren konnte. Es gab nach der Veröffentlichung einen halben Skandal, wobei die schleswigholsteinische CDU  überhaupt nicht verstand, warum der Nachfolger des Führers nicht Geschichtsunterricht in der Schule geben sollte. Das tragische an der ganzen Geschichte war, dass sich der Schuldirektor, bei dem ich mich eingeschleimt hatte, sich danach von der Sperrmauer in Geestaacht in die Elbe stürzte. Ich habe nie genau herausgefunden, ob es der Inhalt des Artikels war oder ob der Artikel nur der Auslöser seines Suizids war. Mir ist aber dadurch bewusst geworden, was ich als Journalist  für eine Macht und Verantwortung habe. Ich erfuhr später, dass der Rektor vor dem Artikel schon grosse persönliche Probleme hatte. Woran ich mich erinnere, dass ich damals regelmässig Anrufe vom Schulsprecher Barschel bekam: „Du Mörder!“
Langsam machte ich Kariere bei der „Zeit“. Ich bekam wieder den „Theodor Wolff Preis“ für eine Reportage über Willy Brandts ersten Wahlkampf zum Bundeskanzler, in dem ich ihn als Looser beschrieb. Die Reportage hatte ich schon auf den Preis hin geschrieben, also ich wolle den Preis! War schon ein komischer Journalismus, den ich damals betrieben habe. Ich musste nach Berlin, um die Urkunde überreicht zu bekommen, von Willi Brandt! Bei der Urkundenüberreichung habe ich irgend etwas gestammelt, worauf hin er mich fragte „Wollen wir heute Abend mal was Essen gehen?“ Toller Typ, Willy Brand“ dachte ich. Wir sind abends
essen gegangen. Seit dem war ich ein Fan von Willy Brandt. Über die Reportage haben wir nie wieder gesprochen. Im übrigen hatte er ja auch die Wahl verloren.

Später war ich noch an der Harvard Universität, bei Henry Kissinger, Postgraduatetd über die DDR. Ich bin ganz gut mit Kissinger ausgekommen, obwohl ich schon damals den Verdacht gehabt habe, dass er ein amoralischer Zyniker war.
Danach war ich für die „Zeit“  Berliner Korrespondent und der erste westdeutscher Journalist, mit einer Akkreditierung für die DDR. War voll die scharfe Zeit für einen Journalisten. Wobei ich nach kurzer Zeit wieder aus der DDR rausgeflogen bin. Das interessanteste und aufregendste war natürlich die Studentenrevolte. Ich war einer der ganz wenigen, die sachlich, sogar mit kritischer Sympathie über die 68iger Bewegung schrieb. Das missfiel der Redaktion zunehmend. 1968 erkannte ich meine Artikel, die ich aus Berlin zur „Zeit“ nach Hamburg sande nicht mehr wieder, weil sie dort umgeschrieben wurden. Ich beschwerte mich energisch und bekam prompt einen Anruf von Gräfin Dönhoff, die mich nach Hamburg zitierte. Als ich sie traf, wurde ich gleich offensiv und sagte ihr: „Gut dass ich hier bin, ich möchte endlich eine Gehaltserhöhung haben. Sie meinte: „Kai, was wollen Sie denn mit dem vielen Geld?“ woraufhin ich ihr antwortete: „Sie sind doch Anhängerin der freien Marktwirtschaft und auf dem Markt bin ich das Vielfache meines Gehaltes wert.“  
Ich hatte die „Carl-von-Ossietzky-Medaille“  für die Berichterstattung 1968 über die Vorkommnisse in Berlin bekommen. Gräfin Dönhoff meinte dann: „Kai, Sie haben ein Alkoholproblem!“ Ich dachte nur: Woher weiss die Alte das denn?“ Später kam dann heraus, dass die Stasi eine Alkoholiker-Kampagne gegen mich lanciert hatte. Gräfin Dönhof meinte dann: “Kai, Sie haben das Metier des Journalismus nie richtig gelernt. Ich denke, sie machen jetzt mal die Beantwortung der Leserbriefe. Sie meinte es wohl eher mütterlich, weil sie ja über die Stasi die Sache mit dem Alkohol gesteckt bekommen hatte und dass ich in ihren Augen bisschen durchgeknallt war, mit all meinen Auszeichnungen. Sie wollte mich ein bisschen Erden. Ich sagte ihr, es war eine schöne Zeit und kündigte. Bei der „Zeit“zu kündigen …. Sie hat nie wieder ein Wort mit mir geredet.
Ich bin dann zum Spiegel und habe dort das fünffache an Gehalt bekommen und  wurde  Namensautor. Es war keine wirklich gute Zeit dort, auch wegen dem Neid der Kollegen. Ich war im Auslandsressort, jeder hatte von den Redakteuren sein Gebiet, Wenn irgend etwas wichtiges  im Ausland passierte, fuhr nicht der zuständige Redakteur dorthin, sondern meistens ich. Ich bekam dann natürlich auch extra keine Informationen von dem zuständigen Redakteur und das war dann wirklich stressig. Du steigst aus dem Flieger und weisst nichts! Keine Adressen, keine Hintergrundinformation, keine Kontakte und sollst dann innerhalb von Tagen als Namensautor einen Artikel abliefern. Was keiner weiss, damals war der Spiegel von Nazis durchsetzt, autoritär, keine Frau als Redakteurin. Gleich am ersten Tag kam der Verlagsleiter Herr Becker zu mir: „Ich möchte, wenn Sie das Haus hier betreten, dass sie eine Krawatte tragen! Ich sagte ihm, dass ich eine Allergie gegen Krawatten hätte, langes Rumgefeilsche mit dem Kompromiss, dass ich zu den Konferenzen eine tragen würde. Das war der Spiegel damals, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich war dann 1 1/2 Jahre dort, bis ich Chefredakteur bei „TWEN“ wurde. Das Magazin habe ich in einem halben Jahr zugrunde gerichtet. „TWEN“ war bis 1968 das progressive Magazin, mit erheblicher Auflage und finanzierte sich auch durch Anzeigen. Da sich nach 1968  die BRD gesellschaftlich verändert hatte, konnte ich das inhaltlich natürlich nicht ignorieren. Kein progressives Jugendmagazin kannst du herausbringen, ohne auf die sich veränderten politischen und sozialen Bedingungen Bezug zu nehmen. Das missfiel den Anzeigenkunden sowohl dem Verlag. Ich hatte die Auflage zwar gesteigert aber die Anzeigeneinnahmen halbiert, durch inhaltliche Bezugnahme auf die sexuelle Revolution und weg von der Hyper-Ästätisierung, wie das Heft vorher gestaltet war. Und das kam bei Gruner und Jahr, dem Verlag, gar nicht gut an, Herr Jahr konnte darüber gar nicht genug kotzen, wie er mir sagte. In der Schweiz wurde das Magazin dann auch noch verboten, wegen dem Anschein der Pornografie. Das war dann das Ende. „TWEN“ wurde eingestellt.
Da ich einen Vertrag hatte, bekam ich eine hohe Abfindung, brauchte also nicht unter freiem Himmel zu Schlafen. 2 Wochen vor dem Aus von „Twen“ lernte ich das Cover-Model der letzten Ausgabe kennen und da ich eine Weltreise machen wollte, fraget ich sie, ob sie mitkommen wolle. In der Zeit konnte man noch nicht in einem Hotelzimmer schlafen, ohne verheiratet zu sein. Also heirateten wir innerhalb einer Woche pro forma, mit der Idee, wir können uns ja danach, wenn wir zurückkommen wieder trennen. Na ja, das war wohl ein Fehler. Wir machten uns dann ganz gemütlich auf den Weg und blieben dort, wo wir es schön fanden. 2 Monate Südsee, traumhaft, die Inseln völlig unverdorben, kein Tourismus auf Samoa. Dort gab es auch noch kein Geld als Bezahl-Mittel, Gasfreundschaft ohne Ende. Der Häuptling hatte uns eine Hütte zur Verfügung gestellt, direkt unter dem Wasserfall, so etwas von idyllisch…. In Indien waren wir zum Schluss nur 2 Tage. Ich war da grade so gut drauf, ich dachte, ich wäre der Liebe Gott!
Zurück in Deutschland, war ich auf einmal Familienvater und freier Jornalist.
Irgend wann hatte ich einmal bei der „Zeit“ eine kritische Reportage geschrieben, über reißerischen Journalismus in den Illustrierten, unter anderem auch mit Zitaten aus dem „Stern“. Als ich im Pressehaus zufällig im Paternoster Henri Nannen traf, brüllte der mich an:„Sie eingebildeter Schnösel!! Was bilden sie sich ein?“ Nach dem Schreien, bevor er ausstieg sagte er: „Kai kommen sie zu uns, ich vergolde ihnen den Arsch!“
Der „Stern“ hatte schon vorher an mir rum gebaggert, schon  als ich beim „Spiegel“ war. Das war in der Zeit, als sich der „Stern“ zu einem  seriösen Magazin entwickelte und gute Journalisten wie Fussballstars gehandelt wurden. So kam ich zum „Stern“ und das war eine tolle Zeit für mich als Journalist. Meine Zuständigkeitsbereich war Lateinamerika, der Nahe Osten. Reportagen über den Libanonkrieg, die Entführung der LH in Mogadischu, später dann über den Krieg in Jugoslawien. Ich war kein Kriegsberichterstatter, eher verschlug es mich an diese Orte. Ich hatte zum Beispiel immer ein weisses Jacket mit, wenn ich in den Krieg ging, im Gegensatz zu meinen Kollegen, die in Tarnwesten berichteten. Einfach um mich zu distanzieren, zu zeigen: ich habe mit dem ganzen Scheiss null zu tun. Vielleicht war es der perfekte Schutz: auf Menschen im weissen Jacket schiesst man nicht. Was mich immer interessierte und noch immer interessiert ist das soziale Zusammenleben einer Gesellschaft. Zwischen den Auslandsreportagen fiel mir auf, dass plötzlich in Deutschland überall obdachlose Jugendliche  hockten. Ich recherchierte in Hamburg und Horst Riek machte Kontakte in Berlin, unter anderem zu der Clique um Christiane F. Wir recherchierten dann so ein ein 3/4 Jahr an der Geschichte, machten Interviews und holten Hintergrundinformationen ein. Und dann wollte der Stern die Geschichte nicht drucken! „Ist ein Randthema, interessiert keinen Menschen!“. Ich versuchte darauf hin einen Buchverlag zu finden. Rowohlt bezeichnete es als „Verdienstvolle Arbeit“ aber man müsste ein Fachbuch daraus machen, mit wissenschaftlichen Glossar. Bis der Henri Nannen das Manuskript in die Hände bekam. Der rief mich früh morgens an. Er hätte es in der Nacht gelesen, nicht mehr schlafen können, es wäre der letzte Wahnsinn!  Das war am Anfang der Woche. ( der „Stern“ erschien immer Donnerstag) Wir hatten einen Vertrag mit der Mutter von Christiane F., dass sie anonym bleiben musste. Abends, bevor das Heft gedruckt werden sollte, holte mich Nannen rauf in die Chefetage, zeigte mir die neue Ausgabe und da hatten sie das Mädchen auf dem Titelbild. Ich sagte, dass das dem Vertrag mit der Mutter widerspräche. Christiane F. musste anonym bleiben. „Dann sagen Sie doch der Mutter, der „Stern“ hätte jemand fotografiert und hingeschminkt, die so ähnlich aussieht wie ihre Tochter!“. Ich habe daraufhin fristlos gekündigt und die Tür so zu gekrallt, dass sie aus den Angeln flog. Meine Freundin Uschi beim Stern sagte zu mir: „Sag mal, bist du blöde, fristlos zu kündigen? In 3 Monaten bekommst du Betriebsrente!“ Na ja, dann bin ich zu Nannen gegangen, habe das geklärt, dass ich erst in 3 Monaten fristlos kündigen wollte. Diese Geschichte hat er dann bis zu seinem Lebensende erzählt: „Diese Freaks denken doch auch nur an ihre Rente!“ Nach dem Stern habe ich dann die verschiedensten Sachen gemacht. Dramaturg im Schauspielhaus für politisches Theater unter Zadek, habe ein Theaterstück über Uwe Barschel geschrieben, ach ja, bei „Konkret“ war ich und ja, alleinerziehender Vater. Zuletzt habe ich dann als Pauschalist wieder  für den Stern geschrieben. Pauschalist hiess: ich war frei, bekam jeden Monat mein Geld, egal was ich für Themen machte. Hatte Vorteile, aber einen grossen Nachteil: die Betriebsrente fiel dann mager aus.
Heute schreibe ich an meinen politischen Memoiren, alles was zeitgeschichtlich interessant ist.  Zum Beispiel die Verhältnisse beim Spiegel, mit ehemaligen SS Leuten als Redakteure.
Mein Vater war Nazi, Henri Nannen war Nazi, Helmut Schmidt war Nazi. Was war Rudolf Augstein eigentlich? Ich fragte ihn mal schüchtern und seine stereotypische Antwort damals: „Dazu bist du zu jung“. Die haben alle ihre NS Zeit nie aufgearbeitet. 
Wie lange brauchst du für das Buch?
Weiss nicht, ich denke immer, ich bekomme einen Flow… aber dieser Tag ist jetzt auch schon wieder weg….. Oh, Scheisse, wir müssen Schluss machen. HSV, 13.30 Uhr, Fernsehen.
Ich muss noch ein Foto machen.
Nee, geht nicht, müssen wir einen neuen Termin machen! Ich muss HSV gucken!  

Der HSV verlor 2 zu 3 gegen Heidenhaim……..


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