Karin B.-M.C.

Karin B. – M. C., 69 + 2 Jahre, geschieden, 1 Kind, Beruf: “ meine schwulen Freunde sagen, spätgebärende Versorgungsempfängerin“, Groß Flottbek/Hamburg

53°34'10.14"N, 9°52'20.43"E, 07.11.2014


„Ich habe mich nach 32 Jahren als Kunst- und Kunstgeschichtslehrerin an einem Gymnasium, mit 63 Jahren, frühpensionieren lassen. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Und damit meine ich nicht: Keine Lust mehr, Kinder und Jugendliche zu unterrichten, das habe ich immer geliebt und würde es bis heute noch sehr gerne machen. Aber ich hatte keine Lust mehr, auf die endlosen pädagogischen Konferenzen des Lehrkörpers, dieses alles Hinterfragen, über Nichts und Alles diskutieren zu müssen und auf die oft resignative Einstellung meiner Kollegen zu ihrem Beruf in den letzten Jahren.

Nach der pädagogischen Hochschule habe ich Kunst und Kunstgeschichte studiert, um am Gymnasium unterrichten zu können. „Die Entwicklung der kindlichen Zeichensprache“ war damals das Thema meiner Examensarbeit. Dieses Thema wurde das Fundament meiner gesamten Lehrtätigkeit. Wenn ich danach eine neue 5. Klasse übernahm, machte ich immer einen Test mit den Kindern. Sie mussten dann einen Baum, einen Menschen und Menschen an einem Tisch zeichnen. Diese Zeichnungen waren für mich die Bewertungsgrundlage der einzelnen Schüler.

Jeder Mensch hat unterschiedliche Begabungen und man darf Menschen, besonders nicht im Kunstunterricht, an einer konkreten Zielvorgabe beurteilen, wie von der Schulbehörde neuerdings gefordert wird, sondern an dessen persönlicher Lernkurve. 3 bis 13-Jährige gehen durch unterschiedliche Entwicklungsphasen, wie Veränderung der Wahrnehmung von Formzusammenhängen, differenzierte Farbwahrnehmung, Raumempfindung, bis hin zu einer komplexen Wahrnehmung der Innen- und Außenwelt. Klar, es gab immer Kinder, die den anderen im Kunstunterricht technisch und kreativ weit überlegen waren. Die bekamen sowieso eine gute Benotung. Kinder die nicht gut zeichnen konnten, nicht so kreativ waren, sich aber über die Jahre in ihren Arbeiten weiterentwickelten, bekamen bei mir auch gute Noten. Es berührt mich sehr, manchmal treffe ich frühere Schüler von mir, die auf mich zukommen und mir sagen, wie viel Spaß sie hatten und wie viel sie in meinem Unterricht für sich gelernt haben. Ich kann mich an einen Schüler erinnern, der anfangs wirklich nicht der Beste im Kunstunterricht war, der nach seinem Abi, in Kiel sein Kunststudium beendete. Über meine gesamte Tätigkeit als Lehrerin habe ich die Zeichnungen meiner Schüler aufgehoben, die dasselbe Thema in den unterschiedlichsten Ausarbeitungen und Zeitabständen zeigen. Jetzt, mit 69 + 2 Jahren, möchte ich diese Arbeiten zusammenstellen und öffentlich machen. Zeigen, wie vielfältig Menschen die Welt verstehen und wie unterschiedlich sich Menschen ausdrücken können. Wie kreativ jeder einzelne Mensch sein kann, wenn man ihn darin fördert. Es geht nicht darum, toll Tiere zeichnen zu können, sondern, dass die praktizierte, bildende Kunst, so wie ich sie begreife, für jeden Menschen, ob er BWL studiert oder eine Lehre macht, ein Weg ist, sich selber freier sehen zu können.“


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