Nir A.

Nir A., 53 Jahre, verheiratet, 2 Kinder, lebte mit seiner Familie in vielen europäischen Städten, jetzt in Hamburg, Künstler.
„Emigrant! Ich muss immer einen Koffer, mit den wichtigsten Dingen bei mir Zuhause gepackt stehen haben.“

Hamburg, 53°33'6.73"N 9°58'49.91"E, 17.02.2018


Warum nicht Künstler?
Ist Künstler ein Beruf? Wahrscheinlich ist Künstler keine Berufsbezeichnung für mich. Egal welche Sprache ich gelernt habe, ich beherrsche keine Sprache richtig. Ich muss etwas Visuelles erschaffen, um mich ausdrücken zu können“

Du beherrscht keine Sprache richtig, oder vertraust du der Sprache nicht?
Beides. Aber ich beherrsche wirklich keine Sprache so richtig. Die Sprache, die ich spreche, Hebräisch aus den 90iger Jahren, ist altmodisch, oder ich kann mich mit den anderen, die ich noch gelernt habe, nicht richtig ausdrücken, nicht tief genug.

Ich war auf deiner Website, in deinem online Studio. Dort findet man ein Sammelsurium von fotografischen Eindrücken aus dem Alltag, mit Interpretationen oder Anmerkungen. Ich bin ja Fotograf und dokumentiere auch oft Situation. Worin besteht der Unterschied zwischen dem, was du in deinem online Studio zeigst und meinen Motiven, auf meinen Websites?
Was du zeigst, weiss ich nicht, aber du kannst es bestimmt beschreiben. Dich interessieren sehr wahrscheinlich die Situationen, aus einem fotografischen Moment heraus. Für mich zeigen meine Bilder ein physisches Erlebnis. Wenn ich einen Stuhl auf der Strasse sehe und dieser Stuhl steht ein bisschen komisch, interessiert er mich als Objekt. Wie ist seine Patina, ist die Patina durch Witterungseinflüsse entstanden oder durch die Menschen, die ihn benuzten? Ich fange dann an, mir eine Geschichte über diesen Stuhl zu erzählen: wer hat ihn benutzt, was hat er erlebt, wieso treffe ich diesen Stuhl hier auf dieser Strasse? Und dann hinterfrage ich meine Situation: beachte ich den Stuhl, weil er einfach da ist und ich zufällig auch da bin oder beachte ich den Stuhl, weil ich grade das Gefühl habe, ich suche einen Stuhl und ihn nur deswegen wahrnehmen kann? Was bedeutet ein Stuhl für mich? Ich könnte in einer anderen Situation sein und durch die Gegend laufen, einen anderen Gedanken im Kopf haben, und diesen Stuhl vielleicht deswegen nicht sehen. Das dokumentiere ich und mache ein Bild mit der Kamera.

Den Stuhl benutzt du dann für deine Installation?
Als Gedanke, nicht zwingend als Objekt oder Form. Der spezifische Stuhl interessiert mich auf der Strasse, braucht dann aber nicht in der Installation vorzukommen. Dort versuche ich meine Gedanken, meine Gefühle, die die Begegnung mit dem Stuhl auf der Strasse in mir ausgelöst haben, in die Installation mit einfliessen zu lassen.

Sind deine Installationen Abstraktionen deiner Empfindungen und Gedanken, die du bei der Wahrnehmung der Objekte auf der Strasse hattest?
Ja, ich versuche sie in der Installation zu erklären, sie durch die Installation auszudrücken.
Jeder von uns hat Phasen im Leben, manchmal sind wir ein bisschen depressiv, oder ich laufe durch die Strassen und bin wirklich verliebt, alles ist toll, oder ich habe etwas geschafft und bin glücklich, oder etwas ärgert mich usw.. Je nach Stimmung, sehe ich die Dinge, die Welt unterschiedlich.
Wenn ich dann für eine Ausstellung arbeite, dann versuche ich, diese Momente, die für mich wichtig waren, zusammen zu bringen und ich versetze mich dann während des Aufbaus der Installation in diese Stimmung, die ich ausdrücken möchte.

Neutralisiert du die verschiedenen Stimmungen?
Nein, ich kann die dann nicht trennen. Ich versetzte mich dann in ein Gefühl, sagen wir Melancholie. Einmal musste ich eine Installation, im Rahmen einer Ausstellung über eben die Melancholie, erschaffen. Ich war überhaupt nicht in einer melancholischen Stimmung. Durch meine Aufzeichnungen, aus meinem online Studio, konnte ich mich dann aber in eine melancholische Stimmung zurückversetzten.

Du hast gelernt, wie man etwas inszeniert. Du bist in der Lage, das auch abstrakt zu erschaffen, ohne das du grade in einer z.B. Melancholie steckst. Du arbeitest jedoch so, dass du dich in diese, bleiben wir beim Beispiel Melancholie, hineinversetzt und aus dieser, für dich dann realen Stimmung heraus arbeitest?
Ja, ich kann das in meiner Welt durch meine physischen Gefühle ausdrücken. Das heisst, ich fühle, wie nah sitzen wir zueinander, was empfinde ich in meinem Rücken, wenn hinter mir eine Wand ist, oder wie hier, ein Fenster. Ich empfinde kalt oder warm, wenn ich eine Farbe sehe. Und diese Empfindungen kann ich je nach meinen Zuständen, ich nehme mal die Melancholie wieder auf, in die Installation raumbezogen umsetzten.

Wenn durch deine Installation der Betrachter sich emotional mit deiner Installation auseinandersetzten kann, hast du dann viel erreicht?
Das ist mein Wunsch, das der Betrachter meine Installation nicht nur durch das Ansehen begreift, sondern durch den ganzen Körper wahrnimmt. Was fühlt er, wenn innerhalb der Installation etwas auf der Kippe steht, wenn das ganze Objekt droht, in sich zusammen zu fallen, obwohl es 100% stabil steht. Wie fühlt der Betrachter sich dann in dem Raum.

Das setzt ein hohes Mass ein sich Einlassen des Betrachters voraus.
Man sollte nicht zu meinen Rauminstallationen kommen, um über Kunst nachzudenken, sondern den Raum fühlen, die Raumsituation. Wir machen das doch auch Zuhause, wenn wir ein Wohnzimmer einrichten und darin Platz nehemen.

Carlos Castaneda, seinen Platz im Raum zu finden?
Ja, eins zu eins, deswegen habe ich kein Atelier, weil ich raumbezogen arbeite.

Rauschenberg, auf den du dich ja unter anderem beziehst, sagte einmal mal: „Kunst soll kein Konzept haben….. das einzige Konzept, was für mich durchgängig gegolten hat.“
Viele sagen, dass ich konzeptionell arbeite. Ich weiss es nicht. Für mich sind meine Installationen wie Personen, ich kann mit ihnen reden. Niemand darf zusehen, wenn ich den Aufbau mache.Nicht deswegen, weil es technische Geheimnisse gibt sondern, weil ich mit den einzelnen Objekten rede: du musst da stehen! Warum willst du nicht oben sein? Warum siehst du da so schwach aus? …..Ich habe einen Kontakt mit den verwendeten Objekten. Es wäre sonst, mit Recht, nur eine dumme Arbeit. Dieser Kontakt leitet mich. Wenn jemand mich bei dem Aufbau durchs Fenster beobachten würde, er würde mich höchstwahrscheinlich gleich in die psychiatrische Klinik einweisen lassen.

Du hast dich sehr viel mit Kunsttheorien beschäftigt, bist du dadurch in deiner Arbeit stringenter geworden und bist du dadurch zu dir gekommen?
Ich verstehe etwas von der Kunsttheorie, aber dass ist, als wenn man den Sonnenschein oder den Regen theoretisch versteht, für mich ist der Sonnenschein oder der Regen nicht theoretisch. In den 80iger 90iger Jahren, während meines Studiums, mussten wir uns mit den Theorien Foucaults auseinandersetzten.
Meine grosse Erkenntnis: fuck Foukault!


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