Andre F.

Andre F. 42 Jahre, Vertriebsleiter in einer Werbeagentur und Vizepräsident des Fahrradclubs „Drecknecks“ aus Hamburg.“ Ich mag keine Geschwindigkeit, ich brauche keine Competition schneller, weiter, höher. Das einzige, das ich mir selber beweisen muss, ist die Art wie ich lebe.“

Hamburg, 53°32'47.82"N 9°57'28.80"E, 11.02.2018


Wer oder was sind die „Drecknecks“?
Ein Klub von Leuten, die lustige Fahrräder fahren. Der Name „Drecknecks“ aus dem Grund, weil der Dreck der Strasse uns beim Cruisen in den Nacken spritzt.

Ihr fahrt ohne Schutzbleche?
Definitiv!

Was sind das für Räder, die ihr fahrt?
Cruiser Bikes. Das sind Bikes aus den USA. Stil so 50iger, 60iger Jahre, wie die Schwinn -Bikes, Felt-Bikes , allerdings moderner, krasser und selbst modifiziert.

Kann man das mit den Harley Davidson Motorrädern vergleichen?
Ja, man nennt sie auch Tretharleys.

Wir trafen uns ja in einer Kneipe, und ich dachte, du bist Rocker mit deiner Kutte und mit all deinen Tattoos und fährst eine Harley, die draussen vor der Tür stehen müsste. Ist das beabsichtigt?
Nein, zum einen fahre ich mit Kutte, weil ich mich mit der Fahrradszene identifiziere. Sieht man anhand der aufgenähten Patches. Zum anderen zeigen wir damit, wir gehören einem Club an. Es ist eine Art Uniform, so wie Polizisten sie tragen oder hier die Mädchen bei Hooters. Du wirst lachen, das Wenige, das die Mädchen anhaben, heisst hier auch Uniform.

Aber woher kommt diese Anlehnung an die Motorradclubs?
Du meinst die Kutte? Die gibt es schon lange, bevor es Motorradclubs gab. Die gibt es schon so lange, ob die jetzt Metaller getragen haben, Rocker oder die Turbojugend. Was ich sagen will, wir haben bei allen ein bisschen geklaut. Wir haben nichts neu erfunden, weder das Rad noch die Kutte. Die ganzen Patches auf der Kutte zeigen, mit welchen Clubs wir noch verbunden sind und mit wem wir schon zusammen gefahren sind.

Fährst du auch mal ohne deine „Uniform“ Rad?
Ab und an ja, kurze Strecken, Brötchen holen zum Beispiel. An einem schönen Sonntag, wenn ich Strecke machen will, fahr ich natürlich mit der Kutte. In den 80igern hat man gesagt: sehen und gesehen werden, ist das grösste Glück auf Poppers Erden. Damals gab es ja noch richtige Punks, Skinheads, Rocker und so.

Wie klassifizierst du dich?
Als Mensch, Ende der Ansage. Mit meiner Uniform bediene ich das Schubladendenken der Menschen. Ich projiziere nach aussen: ich bin ein harter Kerl und wenn die Leute dann feststellen, oh scheisse, der ist ja super nett, dann sind sie meistens total baff.

Habt ihr Aufnahmerituale in euerem Club?
Nein und da unterscheiden wir uns auch ganz explizit von den „Rockern“ Bei uns ist eines wichtig: du musst ein Stand Up Guy oder Girl sein, dh. du musst ehrlich sein, du musst eine ehrliche Haut sein, nett sein, zu uns passen. Wir müssen auf einer Wellenlänge sein. Wir haben gewisse Statuten: keine Homophobie, kein Rassismus. Wir sind in St. Pauli gegründet worden und all das, wofür St. Pauli steht, dieses kunterbunte, weltoffene, multikulti kosmopolitische, wie immer du das ausdrücken möchtest, dieses Lebensgfühl, das Pulsierende hier, das sind wir und dazu stehen wir. Wenn einer z.B. ein Cruiser Rad hat, vielleicht auch ein ganz netter Kerl ist und dann anfängt: ich habe ja nichts gegen Neger oder ich habe nichts gegen Ausländer aber Schwule sind ja meistens …..das wäre dann schon mal das ultimative Ausschlusskriterium für ihn. Und grade in der Cruiser Szene und das tut mir persönlich richtig weh, gibt es auch immer mal wieder welche, die auf dem Gebiet geistig bisschen stehen geblieben sind. Denen biete ich dann auch Paroli, verbal. Ich Prügel mich mit denen nicht, das bringt nichts.

Wie viel Cruiser Vereine gibt es in HH?
Zwei, einen aktiven, einen semiaktiven. Wir sind sehr aktiv und bestehen aus 21 Member Männer und Frauen und wachsen. Durschnittsalter zwischen 35 Jahren und 40 + Jahren.

Wann macht ihr die nächste Cruiser Tour?
Bei den nächsten Harley Days in Hamburg.

Fahrt ihr mit oder dagegen?
„Mutti“ hat immer gesagt: Spielt miteinander, nicht gegeneinander. Die Harley Days geniessen ja einen gewissen Ruf. Man nennt sie ja auch die Veranstaltung der Zahnanwälte….Wir haben nichts gegen Harley Fahrer, wir zeigen einfach Präsenz. Wir nehmen das, was wir machen ernst, aber uns nicht zu ernst. Es muss Spass machen. Klar fahren wir dann auf das Gelände der Harley Days und parken da auch unsere Fahrräder

Wie werdet ihr akzeptiert?
Unterschiedlich, manche sehen das positiv, manche lachen über uns. Was uns aber eint ist ja wieder: sehen und gesehen werden. Wer hat das coole Bike, wer hat was Neues am Start. Der eine hat die schönste Harley mit dem coolsten Auspuff. Bei uns vielleicht , wer hat den Rahmen toll lackiert oder einfach, wessen Bike ist als Gesamtbild das krasseste.

Als ich dich gesehen habe, dachte ich, Cruiser fahren das Rad, weil sie kein Geld für eine Harley haben.
Du wirst lachen, das höre ich des Öfteren: hatte es für die Harley nicht gereicht?

Und was antwortest du?
Unterschiedlich. Kommt darauf an, wie einer das sagt, ob er es spasseshalber oder so von oben herab meint. Kann denn sein, dass ich antworte: Harley passte nicht zu meinem Lamborghinis, kann sein, dass ich auch gar nicht darauf eingehe wenn ich sehe, das kommt so herablassend rüber. Dann mache ich mich auch grösser und reagiere gar nicht. Da stehe ich dann drüber.
Geld ist schön, wenn man es hat. Ich habe Geld. Ich könnte mir eine Harley leisten, ich könnte mir auch ein fettes Auto leisten. Habe ich aber kein Bock drauf. Meine Statussymbole, sind meine Fahrräder. Wenn jetzt jemand sagt: ok, du bekommst dein Traumauto, einen 64iger Chevy Impala für deine 3 Bikes, würde ich ablehnen. Der Wert meiner Fahrräder beziffere ich nicht mit Geld, sondern mit meiner emotionalen Bindung zu ihnen. Diese emotionale Bindung ist für mich stärker, als wie ein schöner Wagen, eine geile Harley, eine fette Wohnung.
Ich mag keine Geschwindigkeit, ich brauche keine Competition schneller, weiter, höher. Das einzige, das ich mir selber beweisen muss, ist die Art wie ich lebe.


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