Dag Zeno

Dag Zeno, 45 Jahre, Künstler. Geboren in Schleswig, lebt in London und Marokko. Manchmal besucht er noch Hamburg.
„If you are going to try, go all the way! Otherwise, don`t even start!“ (Charles Bukowski)

53°32'48.88"N 9°57'38.68"E, 29.10.2015


Was treibt dich so an?

Vor kurzem noch hat mich das nackte Überleben angetrieben, das reine Überleben. Bin jetzt zwischen die Stühle geraten wegen der Frage, ob ich mehr Energie aufbringen soll, anderen Leuten zu helfen oder mich selber mehr zu profilieren.


Oder dir selber zu helfen?

Genau. Ich habe erfahren, anderen Leuten zu helfen ist auch eine großartige, geniale Selbsthilfe!
(Dag arbeitete die letzten 3 Monate in der Flüchtlingshilfe in Hamburg)


Als was würdest du deine berufliche Arbeit bezeichnen?
Künstler! Schwerpunkt Musik und Schreiben. Ich schreibe Songs, die ich singe, spiele Gitarre, spiele Schlagzeug und spiele dabei oft mit den Nerven meiner Nachbarn.

Seit wann machst du Musik?
Richtig ernsthaft, dass ich mir das selber glaube, dass ich das ernst zu nehmen habe? Seit 13 Jahren, oder so? Ich habe aber immer schon irgendwie Musik gemacht! Ich war früher mal bei meiner Tante in Trier eingeladen, da war ich 5 oder 6 Jahre alt. Die empfand ich als ganz besonders spießig und schlimm und da habe ich bei ihr den ganzen Tag am Klavier gesessen und habe sie tierisch genervt. Ich, für meinen Teil, habe allerdings meine Musik als eine Melodie empfunden und runtergespielt. Genial! Mit 12 habe ich Schlagzeugunterricht genommen, vorher Saxophon gespielt, Gitarre auch mal gelernt, beim Militärpastor! Und so habe ich rumgeballert, schon immer. Habe aber auch immer schon gezeichnet. Das war früher eher mein Hauptfeld. Visuelle Kunst.

Musik in der Schule?

Immer eine 5 oder 6 gehabt! Wir sollten die Deutsche Nationalhymne – alle 3 Strophen – singen und solche Sachen, da wurde ich dann kreativ. Und das war immer das Schlimmste, damals in der Schule, vor allen Dingen im Kunst- und Musikunterricht: Kreativ zu werden! Dann hattest du verloren! … oder der Lehrer! Kommt auf die Perspektive an.

Schulabschluss?
Keinen. Überall rausgeflogen. Ich bin sogar aus dem Kindergarten geflogen. Darauf bin heute noch am meisten stolz. Hat mich allerdings auch am wenigsten Mühe gekostet. Wie lange ich in der Schule war? Wie lange habe ich mich an der Nase rumführen lassen, meinst du? Ich glaube, 14 Jahre lang bin ich zur Schule gegangen, zuletzt auf das Gymnasium. Da bekommst du auch keinen Hauptschulabschluss, wenn du rausfliegst. Bin da so komisch in der 11. Klasse durchs Raster gefallen. Ich weiß das alles irgendwie nicht mehr. Am Ende, heute, ist das alles ein bisschen fuzzy.

Und nach deinem Rauswurf?
Da habe ich erst einmal Liebe gemacht! Ich war in Frankfurt und habe die ganze Zeit Liebe gemacht. In einer Gartenlaube gewohnt und mich von Schleswig erholt.
Ich fand Liebe schon immer wichtig. Das war auch eine Phase, in der ich glaubte und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich das nicht auch noch heute glaube: dass einfach das Leben selber wichtiger ist, als jetzt Kunst oder was tolles, großartiges aus meinem Leben zu machen. Einfach das Leben eher zu genießen. Das Leben leben selber ist das Ziel. Ich wusste damals schon, dass ich Künstler werde. Irgendwie. Mit dem Künstlerwerden wollte ich mich aber nicht besonders beeilen. Ich habe mir gedacht, ich kann den anderen einen großen Vorsprung lassen.
Irgendwann dann Zivildienst in Hamburg. Betreutes Wohnen für alte Ladies. Das war cool, auch weil das kein Arschabwischen beinhaltete. Mein Job bestand überwiegend darin, alte Ladies anzucharmen. Von ihnen habe ich tierisch viel über das Altwerden und das Sterben gelernt. Und, auf einmal hatte ich einen Job und eine Wohnung. Alles auf einen Schlag. Es war das erste Mal, dass ich nicht rausgeschmissen wurde. Das war auch eine tolle Erfahrung!

Nach dem Zivildienst?

Ähm, weiß ich nicht, muss mal meinen Polizeibericht lesen … Witz!
Nach dem Zivildienst bin ich in Hamburg geblieben und ein bisschen abgestürzt. Well … ich habe viel später erst Bukowski für mich entdeckt und dann, beim Lesen seiner Geschichten gedacht: Hä? Das habe ich auch erlebt! Hä? Das habe ich auch gemacht! Mann … oh ja, so eine kenne ich auch!
In der Zeit habe ich null gearbeitet, habe nur gesoffen. Tatsächlich kann ich mir heute nicht erklären, wovon ich damals gelebt habe. Kaum gegessen, nur getrunken. Mir ist in Erinnerung geblieben, irgendwann mal vor Hunger eine Zwiebel gebacken zu haben. War eine krasse Zeit. Meistens im „Gang Bang“ oder „Gun Club“ gesoffen. Alles auf Deckel. Habe mich so durchgehangelt. Null Geld und auch keine Intention, mich um Geld zu kümmern. In der Zeit fing ich an, richtig Gitarre zu spielen. Damals wohnte ich in der Wohnung der alten Beatles, Paul Rosen Str. 33, über dem „Gang Bang“. Unten gesoffen, oben gewohnt. Ich erinnere mich: eines Tages saß ich auf dem Fensterbrett in meiner Wohnung, habe meine Füße aus dem Fenster gehängt, es war ein Sommerregentag, es war sonnig, aber doch regnerisch und da konnte ich das erste Mal Blues auf der Gitarre spielen. Geiles Gefühl! Das Spielen kam von selbst! Ich habe so rumgedudelt, wie damals bei der Tante auf dem Piano, einfach losmachen und dann mal gucken. Vorher noch nicht einmal Bluesmusik gehört oder so. Ok, ich habe dann diese Blues-Riffs gespielt und fand das total klasse. Bin dann losgegangen und habe einen Blues für einen Booze gemacht. Durch Bars gegangen, ein Song, ein Bier. Damit habe ich mich in jener Zeit dann gut durchgeschlagen.
Irgendwann traf ich in einer Bar einen Kanadier. Total klasse Typ, Berny. Wir haben uns gleich gut verstanden. Während wir redeten, kritzelte ich so Zeichnungen auf einen Bierdeckel. Er sah die und meinte: ah, du kannst Zeichnen. Komm doch mal bei uns in der Firma vorbei. Freunde von mir: Mach das endlich!!!! (ich hatte überall Schulden). Komm endlich aus der Gosse raus! Na gut, ok, komme ich mal aus der Gosse raus. Wenn du in der Gosse liegst, ist es so schön gemütlich. Wenn man unten liegt, kannst du nicht mehr tiefer fallen. Bin dann zu Berny in die Trickfilm-Company und habe angefangen, Werner-Filme zu zeichnen. Handgezeichnete Animationen. War immer im Abspann der Filme. Das ist ein cooles Gefühl: Du sitzt im Kino mit deiner Freundin und schaust den Film und siehst deinen Namen im Abspann. Wenn alle Leute schon aufstehen, habe ich mir dann erst einmal eine Zigarre angezündet. Das war schön! Ah, come on Baby! Check this out! Zu guter Letzt bin ich in der Company „Special Effects Supervisor“ geworden. Und Gott, hat das Knete gegeben! Was macht ein junger Alkoholiker damit? …
In den Job habe ich mich dann so richtig reingebohrt. Nur noch in Animationen geträumt, in Animationen gedacht, ständig im Studio gewesen und gearbeitet. Fand das total super. Und das ging dann so ’ne ganze Zeit. Nach „Werner“ kam „Das kleine Arschloch“, dann der nächste Film, der nächste Film, nächster Film. Zwischendurch auch Werbefilme, Ottifanten und all son Kram. Das ging so über 4 Jahre. Zu schön! Auf einmal wurde aber unsere Arbeit kapitalisiert. Alle Aufträge gingen nach Korea und kurze Zeit später kam dann die digitale Schiene. Tja, das war`s dann für uns. Auf Wiedersehen, Tschüss, Danke! Ohne Vorwarnung wurden wir alle entlassen!
Ich habe danach einen Kurs in 3D Animation gemacht, hatte aber nicht genug Geld, um den bis zum Ende durchzuziehen. Bin dann nach London gegangen. Ich hatte echt die Schnauze voll von Hamburg, von Deutschland. Mein Plan war, mir in London eine digitale Arbeit zu suchen.

Warum London?
Weil London eine echte Stadt ist. Alle sind dort Fremde!
Bin dann durch einen Freund in der Hausbesetzer-Szene gelandet. Einfach Häuser besetzen gehen. London, yeah! Das war DIE geile Erfahrung. Nicht dieser kleinkarierte, politische Kram wie in der Schanze. In London lebten große Künstlergemeinschaften, die von überall aus der Welt nach London gekommen waren, um große 3-4 Stockwerkhäuser zu besetzen, die keiner wollte. In dieser Zeit bin ich erwachsen geworden.

Wie hast du dich finanziell über Wasser gehalten?
Durch das Hausbesetzten bist du frei. Wir brauchten kein Geld für Miete, wir brauchten damals überhaupt nicht viel Geld. Das, was wir benötigten, haben wir durch Arbeit als Bühnenbauer bekommen. Stage-Hand. Aufbauen, Abbauen für Gruppen wie Motörhead oder, hihi: Daniel O`Donnell. Bei mir war dann richtig Malen angesagt. Ich hatte Platz. Das ganze Material zum Malen habe ich mir i r g e n d w i e bei der Arbeit besorgt. Damals, auf den Bühnen wurde alles aus Canvas gebaut … z.B. die weißen Wände, die nach der Show ihren Weg in meine Wohnung fanden. Ich malte damals nur für mich. Dieses Gefühl, ich muss das mal gemacht haben, ich muss mal alles rauslassen, hat mich getrieben. Ausstellungen haben mich wirklich nicht interessiert. Ich musste das, was ich auf die Leinwand brachte, von der Seele haben. Habe gut gemalt, geile Technik, abgefahrene Ideen. Allerdings ist das Feedback, das man für seine Bilder bekommt so indirekt, dass man sich nur die Ohren abschneiden kann. In dieser ganzen etablierten Maler-Kunst-Welt hatte ich überhaupt nichts verloren! Diese Galerien-Szene funktioniert irgendwie nicht für mich. Ich brauche das alles ein bisschen direkter. Danach habe ich mich mit Webdesign durchgeschlagen. Fand ich auch ganz toll, weil ich dabei ganz abgefahrene Ideen bekam und umsetzen konnte. Aber ich bin kein kommerzieller Mensch. Abgefahrene Leute fanden meine Design-Arbeiten ziemlich gut, aber so kommerziell konnte man das dann nicht durchziehen. Für 3D Animationen brauchte man in der Zeit noch unheimlich viel Rechenpower, die unbezahlbar war.

Du machst jetzt nur Musik. Seit wann wurde das für dich interessant?

Ich hatte einen Typen in London kennen gelernt, dem ein Musik-Studio gehörte. Vor allen Dingen wurde es von Musikern als Probestudio genutzt. Ich habe da fast ein Jahr verbracht. Wohnung verloren, mich hat nichts mehr interessiert, was außerhalb dieses Studios passierte. Habe da nur gesessen, zugehört und gelernt. Dort habe ich dann Sam Amant kennen gelernt. Sam war schon in Frankreich durch ihre Musik bekannt geworden, war dort in der Szene ein großer Star. Sie hatte „the unwavering belief“, den unbedingten Glauben, dass man das Leben nur mit Musik überleben kann. Das habe ich von ihr gelernt und das haben wir dann auch so gemacht. Das besondere in unserer Beziehung war, die gegenseitige Befruchtung unserer Musik, obwohl wir uns gegenteilige Musikrichtungen erarbeitet hatten. Ich habe mehr und mehr alten Blues gespielt, sie hat mehr elektronische Musik gemacht.

Wie bezeichnest du den jetzigen Stil deiner Musik?
Das überlasse ich dir, den zu kategorisieren. Na ja, im weitesten Sinne Blues.
Ich verausgabe mich physisch bei meinem Spielen so in der Form: Hau den Wolf!

Punkblues?
Ich hasse Punkblues! Diese ganze Szene und all diese Verpeilten. Die müsste man alle wegschließen!
Ich bin schon beeinflusst von den Einstürzenden Neubauten, Nick Cave und so.
Avandgarde-Blues würde das besser beschreiben, was ich mache, wenn du meine Musik unbedingt definieren willst.

Hast du Vorbilder?
Wenn ich mir ein Vorbild suchen soll: Jimi Hendrix! Er hat mich tierisch beeinflusst.
Gitarre spielen, Bongas rauchen, Jimi Hendrix hören, da kannst du nicht anders, als Gitarre zu spielen. So war das einfach.

Dein Musikstil ist an Jimi Hendrix Stil angelehnt?
Ich weiß welche Leaks, welche Ideen ich manchmal habe und komme dann schnell darauf: ach, hier mal wieder ein kleiner Jimi Hendrix?
In meinem Kopf kann ich das schon hören! Nee, Retrosachen oder so überlasse ich gerne anderen Leuten. Coverbands und so, hau mir ab damit!

Du trittst alleine auf. Hast du mal in einer Band gespielt?
Kill,Kill, Kill, in der Band habe ich in London mitgespielt.
Jetzt spiele ich wieder alleine. Vielleicht kommt da die Gewohnheit des Zeichners wieder bei mir durch. Ich brauche auf keinen zu warten, ich muss keine Kompromisse machen. Ich kann alles sofort ändern. Und, wie die Sache eingangs mit dem Piano: ich kann sofort loslegen, wenn und wann ich will. Diese Freiheit ist cool. Auf der anderen Seite, im Moment, interessiert mich grade wieder, mit anderen etwas zu machen. Während meiner Arbeit in der Flüchtlingsbetreuung habe ich Musiker getroffen, Flüchtlinge, die wirklich etwas mitgebracht haben. Ihre Kunst.
Meine Ideen werden grösser, größer, größer und größer und für diese Ideen brauche ich Musiker, die diese Ideen mittragen können.

Warum deine Entscheidung, nach Essaouira in Marokko zu gehen?
London ist immer kommerzieller geworden, immer weniger kreativ, viele gute Leute sind weg, Clubs müssen zumachen. Die reine kreative Vibration ist dort verloren gegangen. Das Verhältnis Miete zahlen und Musik machen stimmt nicht mehr. Es ist einfach zu teuer geworden.
Außerdem hatte ich mal wirklich Bock, auszuprobieren wie das so ist, in einem Land zu leben, wo man nicht ständig vor Kälte die Schultern über die Ohren ziehen muss.
Ich bin durch meine Freundin nach Marokko gekommen. Wir hatten uns zerkracht. Sie ist nach Essaouira zu ihrer Freundin dort, rief mich dann aber nach einem halben Jahr an, ich sollte mir das doch mal anschauen.
Tja, und seit dem bin ich auch dort. Vor allen Dingen stimmt in Essaouira das finanzielle Verhältnis: Miete zahlen und noch kreativ Arbeiten zu können.
Und der Einfluss der Gesellschaft auf meine Arbeit hinterlässt auch Spuren. Gute Spuren. Die Gesellschaft in Essaouira lebt nicht den 4 by 4 Rhytmus, duw,duw, takke, takke ..duw, duw, takke, takke (wie schreibst du das denn jetzt auf?)

Was ist mit Ruhm, bekannt werden, interessiert dich das?
Was ist Erfolg, oder was ist, etwas zu Erreichen im Leben, in seiner Arbeit? Berühmt zu werden ist vor allen Dingen eine praktische Sache. Klar ist es ein geiles Gefühl vor, sagen wir mal, 2000 Brasilianern zu spielen.

Schon mal gemacht?

Ja, in Sao Paulo. Das coole für einen Musiker ist das direkte Feedback auf seine Arbeit. Du machst deine Kunst mit den Leuten, mit dem Publikum. Die Vibration daraus erzeugt eine Vortex. Ich und das Publikum bauen uns gegenseitig auf und wenn das klickt, ist das ein supergeiles Gefühl, das alles überschreitet, was ich sonst mit Malerei oder Zeichnen erreichen könnte.
Die Interaktion und das Direkte, das „Wow-war-geil-Gefühl“! Es gibt ja so Nummern, so vor einem 3 Leute Publikum spielen zu müssen. Da wird’s dann schwierig, dieses intensive Gefühl zu bekommen. Kann auch klappen, ist aber eher selten.
Insofern, berühmt werden wäre da eine gute Abhilfe, zumindest die Gewissheit zu haben, vor mehr als 20 Leuten spielen zu können. Es geht mir da um diesen Flash, den ich bekomme. Und klar, wenn du bekannt bist, kannst du Co- Musiker bekommen, die echt gut sind, die dann auch dabei sind, weil sie Bock haben mit dir zu spielen. So ist es ein unheimlich anstrengender Akt, gute Musiker zu finden. Das hält mich auch davon ab, mit Leuten Musik zu machen, weil auf dem Markt einfach zuviel schlechte Musiker rumlaufen. Im Leben etwas zu erreichen, ist für mich eher eine philosophische Frage. Erfolg haben kann für mich auch heißen, dass ich mit einem breiten Grinsen sterbe. Und dieses Grinsen im Sterben bedeutet für mich dann, in meinem Leben etwas erreicht zu haben.



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