Eve C.

Eve C,: „Ich bin 36 Jahre alt, Burlesque Performerin, Kietz Guide und Kietzlegende hier auf St. Pauli
 und nicht systemrelevant.
Heute Abend tanze ich nur für mich hier draussen auf der „Grossen Freiheit“, mit Abstand und Maske“

53°33'1.53"N 9°57'27.26"E, 20.12.2020


Du hörst dich sehr fröhlich an. Hat dich der Corana Shutdown überhaupt nicht geschäftlich betroffen?
Mich sehr betroffen gemacht…. und auch finanziell sehr betroffen insofern, dass ich lernen musste, dass ich nicht systemrelevant bin. Als Burlesque Performerin gibt es ja nicht den 1. und den 2. Shutdown. Ich darf seit 10 Monaten nicht mehr auftreten.Ich hatte von heute auf morgen kein Einkommen mehr. Die Künstlerhilfen vom Staat kamen sehr spät, wenn überhaupt und das Leben und die Miete bezahlen davon kann ich auch nicht! Deswegen bin ich zu einem „systemrelevanten Mitglied der Gesellschaft“ geworden und fahre jetzt 5 mal in der Woche Corona-Proben als Kurierin zwischen Berlin und Hamburg, weil in Berlin die Labore ihre Testkapazität erreicht haben.
Vor Corona, als nicht „Systemrelevante“ war ich die Host und künstlerische Leiterin des Bunny Burlesque, Deutschlands einziges, reines Burlesque Caberet hier auf der Grossen Freiheit auf St. Pauli, das zur Familie der Olivia Jones gehört. Dort fing ich als erste biologisch echte Frau für Olivia Jones an zu arbeiten. Ich repräsentierte quasi mein Geschlecht als einziges zwischen all den Drag Queens. Bis vor kurzem machte ich das Booking, stand auf der Bühne als Conférencière, und performte natürlich.
Jetzt ist es, als wenn man mir meine grosse Liebe nehmen würde. Ich glaube ja immer an die neue Liebe, diese Leidenschaft lodert in mir und mein Talent wird auch nicht verloren gehen. Ich bin geduldig und ich werde wie Phönix aus der Asche auferstehen und mein Publikum wieder entertainen. Es ist mir noch bewusster geworden, wie sehr ich mein Leben liebe und will, dass das Publikum das spürt, wenn ich wieder auf der Bühne stehe.
Mit dem 1 Shutdown lag ich apathisch im Bett, völlig daneben und mir liefen die Tränen, ich fühlte mich wie Tinka in dem Film Hoock, wo Robin Williams da steht und sagt: klatsch in die Hände, wenn du an Elfen glaubst, klatsch in die Hände, wenn du an Elfen glaubst!
Und ich habe den Applaus von meinem Publikum gehört und gedacht: klatscht lauter, klatscht lauter!! Lasst mich aufstehen“ Ich habe mich drei, vier Tage an meinem Elend gelabt, das tue ich dann auch gerne, aber dann ist auch gut. Dann stand ich auf, die Sonne schien und ich sage zu mir: so, und jetzt erst recht, los! Ich bin eine leidenschaftliche Fighterin! Aber nur im positiven Sinne. 

Wie bist du zum Burlesque gekommen?
Ich fühlte mich als Kind und als Teenager unheimlich hässlich. Ich wollte immer auf die Bühne und konnte nichts, ich kann bis heute nichts, ausser Menschen zu entertainen. Damals habe ich angefangen Pin-ups zu sammeln, mich faszinierten Big Bands mit den Frauen in ihren wunderschönen Abendkleidern, wie sie Showtreppen runter liefen oder auf irgendwelchen Klavierflügeln lagen, rauchend, trinkend und singend.
Da wollte ich auch hin! Meine Pubertät kam relativ spät, deswegen habe ich jetzt mit 36 Jahren noch so einen geilen Arsch und so geile Titten, die ich auch gerne zeige. Deswegen wurde ich Burlesque Performerin. Durch die Pin-up-Sammlung hatte ich den Begriff Burlesque und dachte, genau das will ich auch. Lets get naket and enertaine people.
Das heisst, als du jung warst, hattest du kein so ausgeprägtes Selbstbewusstsein und Körpergefühl?
Ich war tierisch gross und dürr, mit Sommersprossen, Zahnspange und wurde Spargel genannt . Damals fragte man mich, ob ich Mädchen oder Junge sei. Gut, heute arbeite ich damit auf der Bühne, es ist mein Stilmittel. Liegt vielleicht auch an dem Drag Umfeld in der Olivia Jones Familie
Tampest Storm, Dita von Teese und viele andere Burlesque Tänzerin hatten einen ähnlichen Lebenslauf. Aufgewachsen auf dem Land, fanden sie sich und ihren Körper eher als unattraktiv und fanden durch den Burlesque-Tanz zu sich, wurden dadurch selbstbewusst und fingen an, ihren Körper durch ihren Tanz zu akzeptieren und zu mögen.
Ja, die Show ist wichtig, dass sich Bewegen. Es geht nicht darum, sich nackend zu präsentieren, es geht darum, wie man zur Nacktheit kommt. Es geht dabei auch darum, die vielen Arten der Weiblichkeit zu zeigen. Es gibt nicht nur den einen Typ, den glamourösen. Die Weiblichkeit ist divers. Und ich mag den Zusammenhalt von den Burlesque Mädels. Wir haben eine starke Community, wir sind, kann man sagen, Neofeministinnen, wir sind diejenigen, die sich als erste die Beine, Achseln rasierten, uns puderten und uns gerne Make up auflegten, für uns! nicht fürs Publikum, oder weil wir für andere geil aussehen wollten, wir wollten uns gefallen. Und das ist grossartig. Wir sind alles starke Frauen, weil wir auf die Bühne gehen, weil wir uns mit einer Geschichte ausziehen die wir performen. Und in der Garderobe spürt man eine so starke Energie, man schaut sich offen an. Schon vom Körperbau her kann man sich nie mit einer anderen vergleichen, deswegen gibt es auch kein Konkurrenzkampf zwischen uns. Die einzige Challenge ist: wer unterhält das Publikum am besten, wer bekommt am meisten  Applaus. Wir motivieren uns, wir machen uns nicht gegenseitig runter. Und das macht starke Frauen und Weiblichkeit aus! Ich habe mich für meine Kunst entschieden, um andere Menschen zu unterhalten. Womit halten sich  Menschen, besonders in dieser harten Corona Zeit über Wasser? Mit Geschichten, mit schönen und emotionalen Geschichten, mit Leben. Ich habe es in Nächten erlebt, in denen ich auf der Bühne stand, dass Leute auf mich zu kamen und sich bedankten. Der Vater einer Frau war vor kurzem verstorben, und sie bedankte sich bei mir, dass sie als verwitwete Ehefrau und seit dem Tod ihres Vaters, dass erste Mal seit langem einen wunderschönen, unbeschwerten Abend hatte. Das gab ihr Kraft! Und es tut mir weh, dass ich den Leuten jetzt einfach nicht helfen kann.

Jean Genet in seinem Buch „Der Seiltänzer“ beschreibt ihn darin, jetzt in Kurzform, dass er nur lebt, wenn er im Scheinwerferlicht agiert, sobald er wieder auf dem Boden ist, wird er nicht mehr wahrgenommen, nimmt sich selber nicht mehr wahr. Kannst du damit etwas anfangen?
Definitiv nicht! Nein, ich bin über 180cm gross, mit High Heels 190cm. Meine Stimme ist sehr laut und wenn ich ungeschminkt, mit Brille und Schlabberklammotten über die Strassen von St Pauli gehe, spürt man, dass ich da bin.
Du bist eine Rampensau, privat wie auf der Bühne?
Ich bin die grösste Rampensau der Republik.
Hast du einen Freund?
Ja, ich war 13 Jahre in einer offenen Beziehung, die ich aber kurz vor Corona beendet habe, weil wir uns auseinander gelebt hatten.
Und jetzt habe ich eine neue grosse Liebe gefunden. Ich bin so schwer verliebt! In den dunkelsten übelsten Corona-Zeiten habe ich eine neue Liebe gefunden. Ich habe so Grütze im Kopf, das ist so geil! 
Das verliebt sein rettet mich über die Corona Zeit! Ich habe im Augenblick nicht die Bühne, aber ich geniesse die Liebe eines Menschen und kann soviel Liebe geben orrr… ich kann grade…..man…..


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