Matthias T.J.G.

Matthias. T. J. G., 61 Jahre, verheiratet, lebt in einer polyamoren Beziehung, praktizierender Sadomasochist, Bondage-Lehrer und Performer, Autor. „Du verpasst gar nichts, wenn du keine sadomasochistischen Praktiken magst. Wenn du in deiner Vanilla-Sexualität zufrieden bist, was willst du mehr?“

53°33'6.87"N, 9°57'41.80"E, 24.11.2014


Schon als ganz kleines Kind wollte ich Märtyrer werden. Ich komme aus einer katholischen Familie und das Gemälde des heiligen Sebastian, der mit Pfeilen durchbohrt an einem Pfahl dargestellt wird, faszinierte mich. Wenn mich keiner beobachtete, stellte ich mich vor den Spiegel meiner Eltern und hielt mir Nägel wie Pfeile an den Leib und ich spürte dann eine große Aufregung in mir.
Während meiner Pubertät wollte ich dann nicht mehr der Märtyrer sein, eher sollten andere leiden. Das spielte sich alles nur in meiner Fantasie ab, die ich aber nicht ausleben wollte, bis auf das Fesseln. Mir wurde damals immer klarer, dass es eine Sexualität gibt, die ich ausleben konnte, eine gesellschaftlich akzeptierte Sexualität und eine, die nur in meinem Kopf stattfand. Für mich schien es unmöglich, diese beiden Welten zu vereinigen.

Einmal fesselte ich eine Freundin vor dem Sex an das Bett. Wir beide fanden das auch rattenscharf, bis meine Freundin sich vor ihrer eigenen Lust so erschrak, dass das Thema dann tabu für sie war. Ich war sehr aktiv in der damaligen heterosexuellen Männerbewegung und ich unterstützte den Feminismus und die Schwulenbewegung. In dieser Zeit lernte ich eine Frau aus der SM-Szene kennen, die mir sagte, nachdem ich ihr meine sexuellen Fantasien schilderte: „Du bist ein Sado-Maso und zwar ein Sadist!“ Mit Mitte Dreißig begriff ich: das, was in meinem Kopf vorgeht, hat etwas mit Sadomasochismus zu tun. Ich konnte es endlich benennen! Ich hatte mein „Coming-Out“ als Sadomasochist. Ich weiß noch, wie stolz und glücklich ich war, mich endlich in meiner ganzen Sexualität definieren zu können. Das ging dann soweit, dass ich alle Leute mit meiner Erkenntnis genervt habe, so in der Richtung: „Herr Ober, ich bin Sadomasochist und ich möchte außerdem einmal Spaghetti Carbonara und einen Rotwein.“ Klar, meine heterosexuelle Männergruppe war von mir, als geouteter Sadist irritiert, entsetzt. „Jetzt bist du zu den Feinden übergelaufen, ein prügelnder Mann! Frauenfeindlich, sexistisch, demütigend!“

Als ich begriff, dass mich etwas anmacht, was die meisten anderen ablehnten, musste ich mich mit meinen Bedürfnissen, die ich jetzt ja benennen konnte und wollte, auseinandersetzen. Ich musste mich mit meinen Fantasien und denen meiner Partnerinnen auseinandersetzen. Mir wurde sehr schnell klar, ich wollte kommunizieren, guter SM-Sex beruht auf einer guten Kommunikation und dem Einverständnis des anderen über das, was stattfinden soll. Andernfalls ist man wirklich nur ein prügelnder Mann, frauenfeindlich, sexistisch, gewalttätig, einer, der sich strafbar macht.

Ich lernte dann meine jetzige Frau kennen, die aus der SM Szene kam und schon lange dabei war. In unsere ersten Nacht meinte sie, nur fesseln wäre ein bisschen wenig, schlagen müsste auch dabei sein. Das passte aber noch gar nicht zu meinen Vorstellungen von einem Sadomasochisten, soweit war ich noch nicht. Wie sie mir später sagte, dachte sie da nur: „Oh Gott, ein Nachwuchs-Sado, dem muss ich ja noch alles beibringen!“ Inzwischen mache ich noch ganz andere Sachen. Wenn man herausfindet, dass es die andere Person kickt, dann gibt es eine Rückkopplung, die einen selber wiederum kickt. Deswegen gibt es heute Handlungen für mich und meine Partnerinnen, die ich vor 10 oder 15 Jahren abgelehnt hätte, die ich mir damals vielleicht nur im Comic hätte vorstellen können, nicht aber in der Realität, weil sie einfach zu derbe sind.

Damals, als ich meine SM-Sexualität entdeckte, musste ich natürlich ganz viel rumexperimentieren und alles, was nicht bei 3 auf den Bäumen war, lag gefesselt in meinem Bett. Heute lebe ich meine SM-Fantasien und Praktiken eher entspannt aus. Es gibt auch andere Dinge im Leben, die mich noch interessieren. Malen zum Beispiel. Ich lebe neudeutsch polyamor, also in einer offenen Beziehung, mit meiner Frau, ihrer Geliebten, meiner Gespielin und immer auch mal wieder mit anderen Frauen. Das Benutzen von Schlaginstrument, Seil, Handfessel oder Skalpell, was auch immer, ist letzten Endes nur Ausdruck einer anderen Form der Zärtlichkeit. Heute ist es mir egal, ob ich jemanden aus Zuneigung verprügeln muss oder ihn zärtlich berühre, damit wir uns intensiv begegnen können. Oft möchte ich aber auch einfach nur kuscheln.“


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