Prolog:
Ich spürte zuerst den heißen Schmerz. Dann sah ich das Blut aus meiner Fingerkuppe fließen. Mit der scharfen Leseschere hatte ich, anstatt die Rebe von dem Zweig abzutrennen, mir einen tiefen Schnitt zugefügt. Vom Nagelbett quer durch Kapillare meines linken Zeigefingers klaffte eine tiefe Wunde. Ich kniete vor dem Rebstock und schaute meine dreckigen, schwieligen, von dem Saft einzelner geplatzten Trauben verklebten Hände an. Ich war bei der Weinernte.
Und das kam so: an einem Samstagabend trank ich einen „Wine Natural“ Wein bei Zuehlke, der unter anderem bekannt für seine „Natürlichen Weine“ ist, die er in seinem Restaurant exklusiv anbietet. Wir kennen uns schon länger und deswegen fragte er mich, ob ich als Fotograf Lust hätte, einen befreundeten „Wine Natural“ Winzer 4 Tage bei der Ernte zu begleiten. Zuehlke und sein Kochlehrling würden bei der Ernte helfen, ich könnte ja eine kleine Fotodokumentation über die Arbeit eines Winzers machen. Da ich die nächste Woche nichts vor hatte, mich die Herstellung von „Wine Natural“ interessiert, sagte ich zu und so kam ich am Sonntag auf das Weingut von Michael Teschke.
Michael Teschke ist charismatisch. Sein von harter Arbeit durchtrainierter Körper ist schlank, seine Augen wach, umrahmt von tiefen Falten, seine Bewegungen schnell, fast fiebrig. Seine Hände durchzogen von tiefen Rissen, an denen sich der Dreck des Weinberges nicht mehr so ohne weiteres abwaschen lässt. Er erklärte uns, wie wir am nächsten Morgen richtig die Trauben schneiden. Mir wurde klar, dass ich bei der Ernte nicht nur zusehen, sondern mithelfen musste. Wie Zuehlke schon sagte, zu wenig Helfer und die Zeit für die Lese der Trauben drängte. So kam es, dass ich mit zerschnittenem Finger am Montag im Weinberg saß.
Während dieser 4 Tage auf dem Weingut und in den Feldern entstanden Fotografien, die das Leben auf dem Weingut wiedergeben. Da die Arbeit so intensiv war, fand ich keine Zeit Michael Teschke noch einmal über die Herstellung seiner Weine zu interviewen. Deswegen fuhr ich nach einer Woche wieder auf das Weingut und arbeitete 15 Tage als Erntehelfer bei Ihm. Das Interview ist eine Zusammenfassung von Gesprächen, die wir meistens spät in der Nacht, nach der Arbeit führten. Mit sehr guten Weinen von Ihm!
Michael, deine Weinberge, die Zeilen, sehen anders aus, als die, bei deinen Nachbarn. Bei Dir wäschst Gras, wilde Kräuter, Rucola, selbst Knoblauch habe ich gesehen. Im Gegensatz ist der Boden der Zeilen deiner Nachbarn grünfrei.
In meinen Weinfeldern war schon immer viel Leben. Die Schnecken beobachte ich schon seit Anbeginn meiner Zeit hier. Mir ist, als ich den Hof 1998 von meinem Vater übernahm zuerst nicht aufgefallen, welche Vielfalt an Bewuchs auf den Weinbergen gedieh. Vor allen Dingen wachsen hier Pflanzen, die ich essen kann. Ich habe es nie eingesehen, alles chemisch wegzuspritzen, und danach selber in den Feldern arbeiten zu müssen. Du stinkst wie Sau und gesund ist etwas anderes. Mein Vater war Traubenproduzent. Mit der Herstellung von Wein hatte er nicht viel zu tun. Neben den Weinfeldern hatten wir hier noch Ackerbau und eine Legebatterie Hühner auf dem Hof. Nach dem Tod meines Vaters habe ich die Weinfelder auf -und ausgebaut und mich auf die Weinherstellung konzentriert. Ich habe herausgefunden, dass sich der Weinberg durch Konkurrenz des Bewuchses selbst regulieren kann. Selbst die Schädlinge werden durch Nützlinge in Schach gehalten. Alle sind auf meinen Weinbergen willkommen. Am Anfang hatte ich viele Probleme, es waren mehr Schädlinge als Nützlinge da. Die Nützlinge mussten erst einmal heranwachsen. Da ich damals viel Ärger im Haus hatte und wenig Zeit für die Weinberge, regulierte sich das dann aber selber. Es sind Weinberge entstanden, mit einer hohen biologischen Diversität an Tieren und Pflanzen, die jetzt im Gleichgewicht zu den Weinstöcken und Trauben leben. Ich bezeichne das, was du in meinen Feldern beobachtet hast, als Harmonie des Weinberges und ernte jetzt Trauben, die eine höhere geschmackliche Konzentration aufweisen, als andere.
Weswegen erntest du die Trauben in Handlese?
Weil ich Obst haben will und keinen Matsch. Ich jage doch nicht ein halbes Jahr der Traube hinterher um sie dann zu zerstören, bevor ich sie angeschaut habe. Meine Weintrauben sind hübsch und für sich alleine schon sehenswert! Ich möchte sie im Haus der Freude begrüßen können. Ein anderer Grund ist das Timing der Ernte. Ich ernte Trauben im selben Feld, in unterschiedlichen Zeitabständen.
Hat das etwas mit der Art zu tun, wie du deine Trauben verarbeitest?
Unbedingt! Ich hatte während meiner Ausbildung zum Winzer einen Mentor, Volker Schneider, er war Chemiker, der für meinen Vater damals Weinanalysen machte. Er gab mir aus seinem Wissen Einblicke über die Komplexität des Weines. Wein, was ist Wein? Wein ist ein Sammelsurium aus bestimmten Mineralstoffen und deren monokularen Verbindungen mit Alkohol. Diese Verbindungen kann man messen und als Geschmack interpretieren, z.B. durch die Bestimmung des PH Wertes. Als mir klar wurde, dass der Geschmack eines Weines während der Produktionsphase im erheblichen Masse durch chemische Messwerte definiert wird, habe ich aufgehört mit den chemischen Analysen. Ich habe meinen Wein nicht mehr probiert unter Kenntnis gewisser analytischen Parameter, sondern nur noch sensorisch, mit meiner Zunge und meinem Mund. Ich war nicht mehr neugierig auf die chemischen Bestandteile meines Weines, weil es mich verwirrte. Wenn ich einen Wein probierte, z.B. mit 7 Promille Säure der mir nicht sauer schmeckte, hat es mich verwirrt. In Unkenntnis seines analytischen Wertes empfindest du die Säure wie sie ist und hinterfragst das nicht. Es schmeckt anders als gemessen, weil sich hinter dem PH Wert der Säure auch der Geschmack von Kalk und Kalium verbirgt, der nicht in die Messung mit einfliesst. Viele Leute, die Wein herstellen nehmen das nicht zur Kenntnis in ihren Analysen. Das hat dann zur Folge, dass Kollegen in einem Herbst wie diesen, auf ihre Trauben Weinsäure kippen, weil sie in ihren Analysen viel zu wenig Säure messen. Das kann dazu führen, dass sie die Harmonie, die Energie des Weines zerstören. Du kannst den gemaischten Saft der Trauben geschmacklich bewerten, ich probiere die Trauben vorher im Feld. Ob ausgewogen, zuviel oder zuwenig Säure in ihnen enthalten ist, ich finde alles geschmacklich vorher in der Traube. Da lege ich dann auch den Erntezeitpunkt fest. Manche Reben ernte ich auf demselben Weinberg früher, mache später. Basis der Ernte ist mein Geschmack und meine Erfahrung. Von der Analyse her schaue ich nur nach dem Zuckergehalt, ob er zuviel wird. Ich glaube, viele Kollegen haben einfach Angst, den Weg so zu gehen, den ich hier gehe. Ich weiss aus Erfahrung, dass z.B. der eine Weinberg immer mehr Säure hat, der Andere weniger, der daneben ist ausgewogen. Und, ich verschneide die Ernte der Weinberge untereinander nie, sie bleiben immer separat. Die Ausgewogenheit des richtigen Säuregehalts des Weines erziele ich durch den unterschiedlichen Reifegrad der Trauben eines Feldes, deren Saft ich dann mische. Als Beispiel: Ich habe die mehr säurehaltigen Trauben für den Blauen Sylvaner schon vorher geerntet, mische sie dann mit den weniger säurehaltigen desselben Feldes. So bekomme ich die geschmacklich Frische in meinen Sylvaner, ohne Zusätze. Für meine Rotweine warte ich, damit die Trauben länger reifen können und weniger Säure haben, so dass der Wein rund, weich und füllig werden kann. Der Saft der Traube ist ein stabiles, ausgeglichenes, innerlich gespanntes Gebilde. Wen du etwas Fremdes hinzu gibst, z.B. Weinsäure aus der Tüte, verschiebst du maßgeblich diese Konstruktion und es entsteht ein Ungleichgewicht. Und dass meine ich mit dem verlieren der Energie eines Weines.
Was bezeichnest du als Energie eines Weines?
Energie macht dich wach. Trink doch mal eine Flasche meines Naiven „Kleine Fabrik“. Du wirst nicht müde danach. Energie eines Weines bedeutet: dass sie dich aufhellt oder dich zum Lachen bringt, dich anregt zum Plaudern. Energieverlust wäre z.B. wenn du nach dem Wein anfängst zu grübeln. Als während des Hofverkaufs das Ehepaar ein Glas von der „Kleinen Fabrik“ trank, fingen sie sofort an zu Grinsen. Da ist Energie geflossen! Wenn ein Wein, ohne sich über ihn unterhalten zu haben, einen sofort zum Lächeln bringt, da ist dem Menschen etwas sehr schönes passiert. Dieses Lächeln ist für mich das grösste Kompliment für meine Arbeit.
Wie magst du deine Weine, wie oder nach was sollen sie schmecken?
Bei dem „Blauen Sylvaner“ und bei den anderen hellen Weinen möchte ich Bitterstoffe haben. Die tragen genauso zu dem Geschmack des Weines bei, wie Säure oder Salz. Ich mag, wenn mein Mund beim Weintrinken wässert, wenn etwas passiert, wenn ich Speichelfluss bekomme. Das mag ich sehr! Ich mag aber auch das Leichte und das Frische. Das mag ich besonders gerne! Und natürlich, wenn ich die verschiedene Mineralien des Bodens der verschiedenen Weinberge darin wahrnehme. Bei meinen Roten mag ich das Samte, das Runde das Weiche. Die trinke ich kälter, als normalerweise Rotweine getrunken werden. So um die 12-14 Grad. Ich finde sie von der Stilistik her zu verspielt, zu finessenreich, als das ich sie bei zu hoher Temperatur anbieten möchte. Durch die kältere Temperatur zeige ich den Wein in seinem Geschmack, wo ich ihn am hochwertigsten empfinde und er am meisten Energie abgibt. Wenn ich ihn wärmer trinke, würde er mich müde machen.
Du stellst auch Weine her, die nicht als „Wine Natural“ oder bei Dir als „Naive“ gelten
Ja. Das Verhältnis klassischer Wein zu Naiver Wein ist momentan 2/3 zu 1/3 hier.
Wo ist dein Herz?
Dazwischen. Ich weiss es nicht. Mir schmecken beide. Allerdings ist die Energie höher bei meinen Naiven.
Worin liegt der Unterschied in der Produktion bei deinen Naturweinen und deinen Klassischen Weinen?
Filtration bei den klassischen Weinen. Mehr Reinigung. Viele Konsumenten wollen klaren Wein und können mit trüben Wein nichts anfangen. Sie sind aber genauso rein wie meine Naiven. Der einzige wirkliche Unterschied besteht darin, dass die Gärung der klassischen Weine durch Schwefelzugabe auf einen Punkt fixiert wird. Sie sind dann nicht mehr dynamisch. An einem Tag unterbreche ich ihre Reise. Die bleiben dann so in ihrer Gärung und sind deswegen topfrisch. Die fahren so zu sagen mit Handbremse, wohin meine Naiven im Leerlauf rollen und sich voll dynamisch entwickeln können.
Du arbeitest in der Produktion nicht mit synthetischen oder chemischen Zugaben?
Ja, im Rahmen der ökologischen Zertifizierung sind meine Weine chemiefrei. Draussen im Feld benutze ich Schwefel und Kupfer. Schwefel und Kupfer sind Chemie, da mache ich mir nichts vor. Schwefel hat im Feld eine mechanische Wirkung, es verbrennt, es trocknet die Pilzsporen aus, die schädlich für die Trauben sind, So wie ein Sonnenbrand auf der menschlichen Haut.
Gelangt der Schwefel dann in den Wein?
Durch Regen wird er von den Trauben und Blätter abgewaschen. Wenn es aber so trocken ist wie jetzt, kommt ein Teil mit in Saft. Das ist aber nicht das Problem, weil im Wein von Natur aus Schwefel enthalten ist und ich sehr reduziert Schwefel in den Feldern auftrage.
Kupfer hat eine ähnliche Funktion für gewisse Sporenarten wie Schwefel, es kommt aber im Wein nicht natürlich vor. Deshalb ist Kupfer für mich Chemie. Reste aus den Feldern werden aber vom menschlichen Körper wieder ausgeschieden. Auch da verwende ich nur eine sehr geringe Menge zum Schutz der Trauben.
Arbeitest du mit synthetischer Hefe für den kontrollierten Gärungsprozess deiner Weine?
Selektionierte Reinzuchthefe ist auf bestimmte Eigenschaften getrimmt. Ich habe irgendwann vor meinen Fässern gestanden und war mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Wo waren die Unterschiede, welche Hefe passt zu der Geschmacksrichtung für den Wein, welche für den anderen Wein? Wie entwickelt er sich. Das war mir zu nervig! Es gibt Daten darüber, aber das ist alles Biologie. Das werde ich wahrscheinlich nicht verstehen, wenn ich das lesen will. Nee, eine Hefe für alle und zwar die, die im Wein natürlich enthalten ist. Jetzt lasse ich die Weine gären bis sie trocken sind, mache jeden Tag die Gärkontrolle und messe nur, wie viel Zucker vergärt pro Tag. Seit dem haben meine Weine viel mehr Tiefe, Spannung und Vielseitigkeit.
Worin liegt das Geheimnis deiner Weine? Man nennt dich ja auch den Traubenflüsterer.
Die liegt in der Umständlichkeit. Ich arbeite sehr umständlich. Also extra umständlich, bewusst unbequem. Ich greife immer den Stein, der unter dem Stein liegt, wenn ich einen Stein suche. Nie den, den ich sehe, immer den anderen.
Dadurch lernst du?
Ja, enorm! Es ist zwar sehr anstrengend, aber ich mache es lieber mit Herz und Seele, als auf 80 Prozent. Dafür erfolgreicher. Ich würde mein Produktionsverfahren nicht ändern, höchstens verfeinern. Du siehst z.B. das Transferieren des Weines von einem Fass zum anderen. Ich öffne dabei die Schelle des Verbindungsschlauches zur Pumpe, damit während des Transfers Sauerstoff in den Wein gelangt, wegen der Mostoxydation, um dadurch Chemie im Wein zu vermeiden. .
Sind deine Weine lagerfähig?
Bei meinen Naiven muss ich das noch genau herausfinden. Ich mache erst seit 2 Jahren Naturwein. Ich rechne damit, dass ich 5 bis 6 Jahre keltern muss um sagen zu können, das ist stabil, die schmecken mir noch immer. Es schmeckt mir schon jetzt bei allen meinen „Naiven“. Ich brauche aber Differenzierungen bei den „Naiven“ Weissweinen.
Du weißt aber nicht wirklich, wie lange deine Weine lagerfähig sind?
Meine Weine sind hunderte von Jahren lagerfähig. Alle Sorten, auch die „Naiven“. Bei den „Naiven“ kann ich dir das nicht beweisen, weil ich sie erst seit 2 Jahren mache. Ich kenne aber meine Trauben. Hast du schon einmal einen schlechten Wein von mir aufgemacht? Nein! Keiner war so, als wenn man hätte sagen müssen, jetzt muss er getrunken werden. Keiner, auch die 25 Jahre alten Weine hier schmecken noch immer köstlich! Wenn ein Wein von vor 25 Jahren, also einer Menschen Generation verzehrt werden kann, empfinde ich das schon als ein grosses Kompliment für meine Weine!
Wo möchtest du hin mit deinen Weinen?
Ich will Legende werden! (lacht) Ich möchte aber nicht zu dem Club der 27iger gehören, dafür macht mein Leben zuviel Spass!