Michalis P.

Michalis P., 40 Jahre, verheiratet, 2 Kinder, freier Journalist

53°33'21.44"N, 9°57'28.83"E, 29.12.2014


Die Vertreter der rechten Position in unserem politischen System haben es immer so viel einfacher sich zu erklären, als die der linken Position, weil ihre Position einfacher ist.

Als Mensch verstehst du die Welt in Metaphern, sie geben dir ein Bild davon, was grade passiert: Preise steigen, jemand hat eine schräge Persönlichkeit – alles Metaphern. Die Metapher der meisten Menschen für den Staat, für das Gemeinwesen, leitet sich ab aus dem Bild der Familie: Vater Staat zum Beispiel. Die Erfahrungen der einzelnen Menschen innerhalb ihrer Familie sind kennzeichnend für ihr Verhältnis zu ihrem Staat. Grundlegend gibt es zwei extreme Blicke darauf, wie eine Gesellschaft funktioniert, wie der Staat wahrgenommen wird, zwischen diesen Extremen schwankt man, unabhängig davon, wie die eigene Familie wirklich ist.

Das konservative, das rechte Bild, sieht den gestrengen Vater als Metapher des Staates, der auf dich aufpasst und wenn du dich diszipliniert verhältst, wird das belohnt. Da die Welt ein Dschungel ist, gefährlich, wirst du vom Vater vor dem Bösen da draußen beschützt. Allerdings nur, wenn du dich diszipliniert verhältst und das machst, was man dir sagt.
Das progressive, linke Bild vom Staat oder der Familie ist, erst einmal zu sagen: Wir sind eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig schützt und hilft. Das Rollenbild des gestrengen Vaters gibt es hier nicht mehr in der tradierten Dominanz, die Disziplin hat nicht mehr den Stellenwert wie in dem konservativen Bild, sondern wird ersetzt durch die Anerkennung der Individualität des Einzelnen. Die Welt da draußen ist nicht der Dschungel, die Bösen, die Welt ist eigentlich gut. Die anderen wollen dir nicht schaden, sondern mit dir zusammen arbeiten. Du musst die finden, mit denen du dich verbinden möchtest. Alle Menschen wollen im Kern eigentlich etwas Gutes erschaffen, wenn man sie in die Lage versetzt.

Wenn irgendwer es schafft, so zu tun, als gäbe es eine Gruppe, die vermeintlich böse ist, weil sie dir vermeintlich etwas wegnehmen will, dir Schaden zufügen will, Gruppen wie „die Asylanten“, „die Ausländer“, „die Juden“, „die Moslems“, andere Nationen oder die Politiker, dann bekommst du so eine komische Zusammenrottung von Leuten, die Disziplin im Sinne von Uniformität fordern. Das mündet dann in: Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns!
Diese Einfachheit hat eine riesige Strahlkraft. Menschen wollen immer eher gerne dazugehören. Das ist der Appell unter anderem von Pegida, diese diffuse Angst, irgendjemand will denen etwas wegnehmen. Oder: Griechen wollen uns Deutschen etwas wegnehmen.

Ich, als Deutschgrieche, erlebe dieses Phänomen der Aus- und Abgrenzung sehr stark. Grade dieses Bashing der Griechen ist bizarr. Bizarr vor dem Hintergrund, dass Deutschland zwar für Kredite bürgt, bis heute aber noch keinen Euro bezahlen musste. Bedient werden die Kredite bisher ja nur durch die griechische Bevölkerung. Deswegen ist die griechische Wirtschaft am Boden und die Menschen sind hoffnungslos. Trotzdem haben viele Deutsche das Gefühl, sie bezahlen die ganze Zeit für Griechenland. Hier in Deutschland ist der Glaube weit verbreitet, es gäbe eine Trennung zwischen den beiden Nationen. In Wahrheit gibt es in beiden Ländern extrem Reiche, die durch diese Situation extrem profitieren und der ganz große Teil der Steuerzahler haftet dafür. Und in Griechenland zahlen die Menschen schon so viel, dass sie verarmen. Es gibt eine ganz klare Grenze, aber die verläuft nicht zwischen den Ländern, sondern zwischen denen, die bezahlen und denen, die verdienen.

Die Vorurteile gegenüber der ganzen Nation Griechenland: Die Griechen seien faul und korrupt und wollten auf Kosten der Deutschen leben (dieselben Vorurteile werden hier übrigens auch gegen Portugal, Spanien und Italien gehegt), diese Vorurteile werden teilweise bewusst geschürt. Die Menschen hier meinen dann, den Gegner zu kennen. Und gegen wen richtet sich die Wut? Gegen Migranten, „faule“ Ausländer, Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger, die unser System angeblich nur ausnutzen wollen – kurz: Die Ärmsten der Armen. Das Autoritäre gibt dir das Gefühl, es gibt eine geschlossene Gesellschaft. Es sagt, wenn du dich diszipliniert verhältst, hast du Erfolg, was im Umkehrschluss eben bedeutet, wenn du keinen Erfolg hast, dann muss es daran liegen, dass du dich undiszipliniert verhalten hast. Du wirst dann vereinzelt und als Armer stigmatisiert. Stigmatisiert durch die Annahme, du hättest selber Schuld. Und wenn du selber Schuld an deiner Armut hast, ist es nicht mehr weit, dir zu unterstellen, du willst nicht arbeiten, du zockst das Sozialsystem ab. Das gipfelt dann in der berüchtigten Unterstellung von Guido Westerwelle damals, der meinte, dass das deutsche Sozialsystem zum anstrengungslosen Wohlstand führen würde, in die spätrömische Dekadenz. Kompletter Unsinn! Das Sozialsystem führt nicht zum Wohlstand und anstrengungslos ist es auch nicht, sondern es sichert das Überleben.

In Griechenland ist es übrigens anders. Dort reicht es noch nicht einmal zum Überleben. Es wird so getan, als wenn Leute sich einen Wohlstand erschleichen würden. Anstrengungsloser Wohlstand geht in Wahrheit nur durch Erben. Und wer im Sozialsystem hängt, erbt in der Regel nicht. Es ist dann aber diese Propaganda des so genannten Erschleichens des anstrengungslosen Wohlstandes, das bei den Leuten hängen bleibt. Wie bei den Pegida-Leuten, die haben tatsächlich das Gefühl, ihnen wird etwas weggenommen. Sie demonstrieren dann gegen die Ärmsten der Armen, gegen Ausländer, die flüchten müssen, gegen Wirtschaftsflüchtlinge – wobei Wirtschaftsflüchtling hier schlicht ein Euphemismus ist.

Ich habe hohen Respekt davor, wenn Menschen, die sich nicht mehr selbst ernähren können, ihre Familien nicht ernähren können, ihren Mut zusammennehmen und praktisch versuchen, auf einen anderen „Planeten“ zu gelangen, um zu überleben. Der amerikanische Traum basiert auf Armutsflüchtlingen, die für ein besseres Leben geflüchtet sind, auch für die religiöse Freiheit.

Auf einmal wird der Armutsflüchtling, der Kriegsflüchtling oder der religiös Verfolgte als eine riesige Bedrohung wahrgenommen und nicht mehr als einer, der nur seine Chance sucht.
Und hier ist wieder diese rechte Position: Wenn man zu einer Gemeinschaft dazugehören will, können das ganz viele Menschen nur durch die Abgrenzung nach außen, Abgrenzung gegenüber den anderen.

Europa ist für mich auch deswegen so ein toller Kontinent, weil wir eine gemeinsame Vorstellung von Freiheit haben, die über alles hinaus geht, was es sonst auf der Welt gibt. Freiheit in Europa heißt auch, frei zu sein von manchen Sorgen: Du musst nicht verhungern, weil du arbeitslos bist, du gehst nicht pleite, weil du krank wirst, nicht jeder darf mit einer Waffe rumlaufen, du bist beschützt vor dieser tödlichen Bedrohung.

Aber die größte Freiheit ist, mich entscheiden zu können. Für viele bedeutet Freiheit, sich nicht entscheiden zu müssen, und sie meinen dann, je länger sie sich nicht entscheiden, desto länger sind sie frei. Für mich erfüllt sich Freiheit in der Entscheidung. In der Entscheidung, was ich esse, was für ein Transportmittel ich benutze, wie ich meine Kinder behandele. All das hat Auswirkungen auf die Welt. Diese Freiheit musst du dir nur nehmen. Das kann jeder auf einem unterschiedlichen Level, nicht jeder hat so viele Freiheiten wie ich, aber du kannst dein Leben ändern und keiner kann dir vorschreiben, dass es anders zu sein hat.

Das Schlimmste was es gibt, siehst du ja bei den Pegida-Leuten: Das Gefühl, machtlos zu sein. Mein Ideal ist, jeden Menschen in die Position zu bringen, in der er Macht über sein Leben hat. Kann bestimmt nicht jeder im selben Maße, das ist mir klar. Es gibt äußere Zwänge.

Aber das größte Hindernis in der Selbstbestimmung deines Lebens bist du selber.

Der Scheiß dabei ist, daß es dir niemand beibringt. Klar ist dieser Weg eine hohe individuelle Belastung, aber auch deine Chance. Und vor allen Dingen, kann das auch Spaß machen. Dafür ist es wichtig herauszufinden, wo die Grenzen sind, die echten Grenzen. Zwischen den Nationen in Europa gibt es mehr oder weniger keine Unterschiede mehr. Die Grenzen sind mehr oder weniger eingebildet, ich als EU-Bürger kann Ländergrenzen im größten Teil Europas ganz einfach ignorieren. Aber es gibt reale Grenzen, die man nicht ignorieren kann, zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich.

Wenn du heute die Freiheit hast, alles tun zu können was du willst, dann hast du meiner Meinung nach übrigens die Pflicht, irgendetwas zu tun. Du kannst machen was du willst – außer nichts!

Du kannst nicht sagen, die da Oben sind alle Scheiße, ich habe damit nichts zu tun. Das ist keine Lösung.

Es sollte einen Unterschied machen, ob du auf der Welt bist oder nicht. Etwas hinzubekommen, was auch meinetwegen nur ein Hauch besser ist als davor. Demokratie ist, wenn Demokraten morgens aufstehen und dafür arbeiten. Daran glaube ich, so simpel ist es. Es reicht nicht, damit erst anzufangen wenn die Nazis kommen.

Meine Kinder werden mich zum Beispiel ganz sicher fragen: Was hast du damals gegen den Klimawandel gemacht, als man noch etwas tun konnte? Wenn dann meine einzige Antwort ist: Ich habe einen Wagen mit Start–Stopp-Automatik gekauft, dann werden sie das zu wenig finden.


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